Die von der Königl. Societät aufgestellte Frage lautet: Num liberum hominum arbitrium e sui ipsius conscientia demonstrari potest? Verdeutscht: „Läßt die Freiheit des menschlichen Willens sich aus dem Selbstbewußtseyn beweisen?" I. Begriffsbestimmungen Bei einer so wichtigen, ernsten und schwierigen Frage, die im Wesentlichen mit einem Hauptproblem der gesammten Philosophie mittlerer und neuerer Zeit zusammenfällt, ist große Genauigkeit und daher eine Analyse der in der Frage vorkommenden Hauptbegriffe gewiß an ihrer Stelle. 1) Was heißt Freiheit? Dieser Begriff ist, genau betrachtet, ein negativer. Wir denken durch ihn nur die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden: dieses hingegen muß, als Kraft äußernd, ein Positives sein. Der möglichen Beschaffenheit dieses Hemmenden entsprechend hat der Begriff drei sehr verschiedene Unterarten: physische, intellektuelle und moralische Freiheit. a) Physische Freiheit ist die Abwesenheit der materiellen Hindernisse jeder Art. Daher sagen wir: freier Himmel, freie Aussicht, freie Luft, freies Feld, ein freier Platz, freie Wärme (die nicht chemisch gebunden ist), freie Electricität, freier Lauf des Stroms, wo er nicht mehr durch Berge oder Schleusen gehemmt ist u. s. w. Selbst freie Wohnung, freie Kost, freie Presse, postfreier Brief, bezeichnet die Abwesenheit der lästigen Bedingungen, welche, als Hindernisse des Genusses, solchen Dingen anzuhängen pflegen. Am häufigsten aber ist in unserm Denken der Begriff der Freiheit das Prädikat animalischer Wesen, deren Eigenthümliches ist, daß ihre Bewegungen von ihrem Willen ausgehen, willkührlich sind und demnach als dann frei genannt werden, wann kein materielles Hinderniß dies unmöglich macht. Da nun diese Hindernisse sehr verschiedener Art sein können, das durch sie Gehinderte aber stets der Wille ist; so faßt man, der Einfachheit halber, den Begriff lieber von der positiven Seite, und denkt dadurch Alles, was sich allein durch seinen Willen bewegt, oder allein aus seinem Willen handelt: welche Umwendung des Begriffs im Wesentlichen nichts ändert. Demnach werden, in dieser physischen Bedeutung des Begriffs der Freiheit, Thiere und Menschen dann frei genannt, wann weder Bande, noch Kerker, noch Lähmung, also überhaupt kein physisches,materielles Hinderniß ihre Handlungen hemmt, sondern diese ihrem Willen gemäß vor sich gehen. Diese physische Bedeutung des Begriffs der Freiheit, und besonders als Prädikat animalischer Wesen, ist die ursprüngliche, unmittelbare und daher allerhäufigste, in welcher er ebendeshalb auch keinem Zweifel oder Kontrovers unterworfen ist, sondern seine Realität stets durch die Erfahrung beglaubigen kann. Denn sobald ein animalisches Wesen nur aus seinem Willen handelt, ist es, in dieser Bedeutung, frei: wobei keine Rücksicht darauf genommen wird, was etwan auf seinen Willen selbst Einfluß haben mag. Denn nur auf das Können, d. h. eben auf die Abwesenheit physischer Hindernisse seiner Aktionen, bezieht sich der Begriff der Freiheit, in dieser seiner ursprünglichen, unmittelbaren und daher populären Bedeutung. Daher sagt man: frei ist der Vogel in der Luft, das Wild im Walde; frei ist der Mensch von Natur; nur der Freie ist glücklich. Auch ein Wolf nennt man frei, und versteht darunter, daß es allein nach Gesetzen regiert wird, diese Gesetze aber selbst gegeben hat: denn alsdann befolgt es überall nur seinen eigenen Willen. Die politische Freiheit ist demnach der physischen beizuzählen. Sobald wir aber von dieser physischen Freiheit abgehen und die zwei andern Arten derselben betrachten, haben wir es nicht mehr mit dem populären, sondern mit einem philosophischen Sinne des Begriffs zu thun, der bekanntlich vielen Schwierigkeiten den Weg öffnet. Er zerfällt in zwei gänzlich verschiedene Arten: die intellektuelle und die moralische Freiheit. b) Die intellektuelle Freiheit, το έχούοιν χαί άχούσιν χατά διάνοιαν bei Aristoteles, wird hier bloß zum Behuf der Vollständigkeit der Begriffseintheilung in Betracht gezogen: ich erlaube mir daher ihre Erörterung hinauszusetzen bis ganz ans Ende der Abhandlung, als wo die in ihr zu gebrauchenden Begriffe schon im Vorhergegangenen ihre Erklärung gefunden haben werden, so daß sie dann in der Kürze wird abgehandelt werden können. In der Eintheilung aber mußte sie, als der physischen Freiheit zunächst verwandt, ihre Stelle neben dieser haben. c) Ich wende mich also gleich zur dritten Art, zur moralischen Freiheit, als welche eigentlich das liberum arbitrium ist, von dem die Frage der königl. Societät redet. Dieser Begriff knüpft sich an den der physischen Freiheit von einer Seite, die auch seine, nothwendig viel spätere, Entstehung begreiflich macht. Die physische Freiheit bezieht sich, wie gesagt, nur auf materielle Hindernisse, bei deren Abwesenheit sie sogleich da ist. Nun aber bemerkte man, in manchen Fällen, daß ein Mensch, ohne durch materielle Hindernisse gehemmt zu sein, durch bloße Motive, wie etwan Drohungen, Versprechungen, Gefahren u. dgl., abgehalten wurde zu handeln, wie es außerdem gewiß feinem Willen gemäß gewesen sein würde. Man warf daher die Frage auf, ob ein solcher Mensch noch frei gewesen wäre? oder ob wirklich ein starkes Gegen- motiv die dem eigentlichen Willen gemäße Handlung ebenso hemmen und unmöglich machen könne, wie ein physisches Hinderniß? Die Antwort darauf konnte dem gesunden Verstande nicht schwer werden: daß nämlich niemals ein Motiv so wirken könne, wie ein physisches Hinderniß; indem dieses leicht die menschlichen Körperkräfte überhaupt unbedingt übersteige, hingegen ein Motiv nie an sich selbst unwiderstehlich sein, nie eine unbedingte Gewalt haben, sondern immer noch möglicherweise durch ein stärkeres Gegenmotiv überwogen werden könne, wenn nur ein solches vorhanden und der im individuellen Fall gegebene Mensch durch dasselbe bestimmbar wäre; wie wir denn auch häufig sehen, daß sogar das gemeinhin stärkste aller Motive, die Erhaltung des Lebens, doch überwogen wird von andern Motiven: z. B. beim Selbstmord und bei Aufopferung des Lebens für Andere, für Meinungen und für mancherlei Interessen; und umgekehrt, daß alle Grade der ausgesuchtesten Marter auf der Folterbank bisweilen überwunden worden sind von dem bloßen Gedanken, daß sonst das Leben verloren gehe. Wenn aber auch hieraus erhellte, daß die Motive keinen rein objektiven und absoluten Zwang mit sich führen, so konnte ihnen doch ein subjektiver und relativer, nämlich für die Person des Beteiligten, zustehen; welches im Resultat das Selbe war. Daher blieb die Frage: ist der Wille selbst frei? — Hier war nun also der Begriff der Freiheit, den man bis dahin nur in Bezug auf das Können gedacht hatte, in Beziehung auf das Wollen gesetzt worden, und das Problem entstanden, ob denn das Wollen selbst frei wäre. Aber diese Verbindung mit dem Wollen einzugehen, zeigt, bei näherer Betrachtung, der ursprüngliche, rein empirische und daher populäre Begriff von Freiheit sich unfähig. Denn nach diesem bedeutet "frei" — „dem eigenen Willen gemäß": fragt man nun, ob der Wille selbst frei sei; so fragt man, ob der Wille sich selber gemäß sei: was sich zwar von selbst versteht, womit aber auch nichts gesagt ist. Dem empirischen Begriff der Freiheit zufolge heißt es: „Frei bin ich, wenn ich thun kann, was ich will": und durch das „was ich will" ist da schon die Freiheit entschieden. Jetzt aber, da wir nach der Freiheit des Wollens selbst fragen, würde demgemäß diese Frage sich so stellen: „Kannst du auch wollen, was du willst?" — welches herauskommt, als ob das Wollen noch von einem andern, hinter ihm liegenden Wollen abhienge. Und gesetzt, diese Frage würde bejaht; so entstände alsbald die zweite: „kannst du auch wollen, was du wollen willst?" und so würde er ins Unendliche höher hinaufgeschoben werden, indem wir immer ein Wollen von einem früheren, oder tiefer liegenden, abhängig dächten, und vergeblich strebten, auf diesem Wege zuletzt eines zu erreichen, welches wir als von gar nichts abhängig denken und annehmen müßten. Wollten wir aber ein solches annehmen; so könnten wir ebenso gut das erste, als das beliebig letzte dazu nehmen, wodurch denn aber die Frage auf die ganz einfache „kannst du wollen?" zurückgeführt würde. Ob aber die bloße Bejahung dieser Frage die Freiheit des Wollens entscheidet, ist was man wissen wollte, und bleibt unerledigt. Der ursprüngliche, empirische, vom Thun hergenommene Begriff der Freiheit weigert sich also, eine direkte Verbindung mit dem des Willens einzugehen. Dieserhalb mußte man, um dennoch den Begriff der Freiheit auf den Willen anwenden zu können, ihn dadurch modifiziren, daß man ihn abstrakter faßte. Dies geschah, indem man durch den Begriff der Freiheit nur im Allgemeinen die Abwesenheit aller Nothwendigkeit dachte. Hiebei behält der Begriff den negativen Charakter, den ich ihm gleich Anfangs zuerkannt hatte. Zunächst wäre demnach der Begriff der Nothwendigkeit, als der jenem negativen Bedeutung gebende positive Begriff, zu erörtern. Wir fragen also: was heißt nothwendig? Die gewöhnliche Erklärung, „nothwendig ist, dessen Gegentheil unmöglich, oder was nicht anders sein kann", — ist eine bloße Worterklärung, eine Umschreibung des Begriffs, die unsere Einsicht nicht vermehrt. Als die Real-Erklärung aber stelle ich diese auf: nothwendig ist, was aus einem gegebenen zureichenden Grunde folgt: welcher Satz, wie jede richtige Definition, sich auch umkehren läßt. Je nachdem nun dieser zureichende Grund ein logischer, oder ein mathematischer, oder ein physischer, genannt Ursache, ist, wird die Nothwendigkeit eine logische (wie die der Konklusion, wenn die Prämissen gegeben sind), eine mathematische (z. B. die Gleichheit der Seiten des Dreiecks, wenn die Winkel gleich sind), oder eine physische, reale (wie der Eintritt der Wirkung, sobald die Ursache da ist) sein: immer aber hängt sie, mit gleicher Strenge, der Folge an, wenn der Grund gegeben ist. Nur sofern wir etwas als Folge aus einem gegebenen Grunde begreifen, erkennen wir es als nothwendig, und umgekehrt, sobald wir etwas als Folge eines zureichenden Grundes erkennen, sehen wir ein, daß es nothwendig ist: denn alle Gründe sind zwingend. Diese Realerklärung ist so adäquat und erschöpfend, daß Nothwendigkeit und Folge aus einem gegebenen zureichenden Grunde Wechselbegriffe sind, d. h. überall der eine an die Stelle des andern gesetzt werden kann.^1 Man findet die Erörterung des Begriffes der Nothwendigkeit in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 49. — Demnach wäre Abwesenheit der Nothwendigkeit identisch mit Abwesenheit eines bestimmenden zureichenden Grundes. Als das Gegentheil des Nothwendigen wird jedoch das Zufällige gedacht; was hiemit nicht streitet. Nämlich jedes Zufällige ist nur relativ ein solches. Denn in der realen Welt, wo allein das Zufällige anzutreffen, ist jede Begebenheit nothwendig, in Bezug auf ihre Ursache: hingegen in Bezug auf alles Uebrige, womit sie etwan in Raum und Zeit zusammentrifft, ist sie zufällig. Nun müßte aber das Freie, da Abwesenheit der Notwendigkeit sein Merkmal ist, das schlechthin von gar keiner Ursache Abhängige sein, mithin definirt werden als das absolut Zufällige : ein höchst problematischer Begriff, dessen Denkbarkeit ich nicht verbürge, der jedoch sonderbarer Weise mit dem der Freiheit zu- ^1 Man findet die Erörterung des Begriffes der Nothwendigkeit in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 49. ⇑ sammentrifft. Jedenfalls bleibt das Freie das in keiner Beziehung Nothwendige, welches heißt von keinem Grunde Abhängige. Dieser Begriff nun, angewandt auf den Willen des Menschen, würde besagen, daß ein individueller Wille in seinen Aeußerungen (Willensakten) nicht durch Ursachen, oder zureichende Gründe überhaupt, bestimmt würde; da außerdem, weil die Folge aus einem gegebenen Grunde (welcher Art dieser auch sei) allemal nothwendig ist, seine Akte nicht frei, sondern nothwendig wären. Hierauf beruht Kants Definition, nach welcher Freiheit das Vermögen ist, eine Reihe von Veränderungen von selbst anzufangen. Denn dies „von selbst" heißt, auf seine wahre Bedeutung zurückgeführt, „ohne vorhergegangene Ursache": dies aber ist identisch mit ohne „Nothwendigkeit". So daß, wenn gleich jene Definition dem Begriff der Freiheit den Anschein giebt, als wäre er ein positiver, bei näherer Betrachtung doch seine negative Natur wieder hervortritt. — Ein freier Wille also wäre ein solcher, der nicht durch Gründe, — und da Jedes ein Anderes Bestimmende ein Grund, bei realen Dingen ein Real-Grund, d. i. Ursache, sein muß, — ein solcher, der durch gar nichts bestimmt würde; dessen einzelne Aeußerungen (Willensakte) als schlechthin und ganz ursprünglich aus ihm selbst hervorgiengen, ohne durch vorhergängige Bedingungen nothwendig herbeigeführt, also auch ohne durch irgend etwas, einer Regel gemäß, bestimmt zu sein. Bei diesem Begriff geht das deutliche Denken uns deshalb aus, weil der Satz vom Grunde, in allen seinen Bedeutungen, die wesentliche Form unsers gesammten Erkenntnißvermögens ist, hier aber aufgegeben werden soll. Inzwischen fehlt es auch für diesen Begriff nicht an einem terminus technicus: er heißt liberum arbitrium indifferentiae. Dieser Begriff ist übrigens der einzige deutlich bestimmte, feste und entschiedene von Dem, was Willensfreiheit genannt wird; daher man sich von ihm nicht entfernen kann, ohne in schwankende, nebelichte Erklärungen, hinter denen sich zaudernde Halbheit verbirgt, zu gerathen: wie wenn von Gründen ge- redet wird, die ihre Folgen nicht nothwendig herbeiführen. Jede Folge aus einem Grunde ist nothwendig, und jede Nothwendigkeit ist Folge aus einem Grunde. Aus der Annahme eines solchen liberi arbitrii indifferentiae ist die nächste, diesen Begriff selbst charakterisirende Folge und daher als sein Merkmal festzustellen, daß einem damit begabten menschlichen Individuo, unter gegebenen, ganz individuell und durchgängig bestimmten äußern Umständen, zwei einander diametral entgegengesetzte Handlungen gleich möglich sind. 2) Was heißt Selbstbewußtseyn? Antwort: das Bewußtseyn des eigenen Selbst, im Gegensatz des Bewußtseins anderer Dinge, welches letztere das Erkenntnißvermögen ist. Dieses nun enthält zwar, ehe noch jene anderen Dinge darin vorkommen, gewisse Formen der Art und Weise dieses Vorkommens, welche demnach Bedingungen der Möglichkeit ihres objektiven Daseins, d. h. ihres Daseins als Objekte für uns, sind: dergleichen sind bekanntlich Zeit, Raum, Kausalität. Obgleich nun diese Formen des Erkennens in uns selbst liegen; so ist dies doch nur zu dem Behuf, daß wir uns anderer Dinge als solcher bewußt werden können und in durchgängiger Beziehung auf diese: daher wir jene Formen, wenn sie gleich in uns liegen, nicht als zum Selbstbewußtseyn gehörig anzusehen haben, vielmehr als das Selbstbewußtseyn anderer Dinge,d. h. die objektive Erkenntniß, möglich machend. Ferner werde ich nicht etwan durch den Doppelsinn des in der Aufgabe gebrauchten Wortes conscientia mich verleiten lassen, die unter dem Namen des Gewissens, auch wohl der praktischen Vernunft, mit ihren von Kant behaupteten kategorischen Imperativen, bekannten moralischen Regungen des Menschen zum Selbstbewußtsein zu ziehen; theils weil solche erst in Folge der Erfahrung und Reflexion, also in Folge des Bewußtseyns anderer Dinge, eintreten, theils weil die Gränz- linie zwischen dem, was in ihnen der menschlichen Natur ursprünglich und eigen angehört, und dem, was moralische und religiöse Bildung hinzufügt, noch nicht scharf und unwidersprechlich gezogen ist. Zudem es auch wohl nicht die Absicht der königl. Societät sein kann, durch Hineinziehung des Gewissens in das Selbstbewußtseyn, die Frage auf den Boden der Moral hinübergespielt und nun Kants moralischen Beweis, oder vielmehr Postulat, der Freiheit aus dem a priori bewußten Moralgesetze, vermöge des Schlusses „du kannst, weil du sollst", wiederholt zu sehn. Aus dem Gesagten erhellt, daß von unserm gesammten Bewußtsein überhaupt der bei weitem größte Theil nicht das Selbstbewußtseyn, sondern das Bewußtseyn anderer Dinge, oder das Erkenntnißvermögen, ist. Dieses ist, mit allen seinen Kräften, nach Außen gerichtet und ist der Schauplatz (ja, von einem tiefern Forschungspunkte aus, die Bedingung) der realen Außenwelt, gegen die es sich zunächst anschaulich auffassend verhält und nachher das auf diesem Wege Gewonnene, gleichsam ruminirend, zu Begriffen verarbeitet, in deren endlosen, mit Hülfe der Worte vollzogenen Kombinationen das Denken besteht. Also allererst was wir nach Abzug dieses bei Weitem allergrößten Theiles unsers gesammten Bewußtseyns übrig behalten, wäre das Selbstbewußtseyn. Wir übersehen schon von hier, daß der Reichthum desselben nicht groß sein kann: daher, wenn die nachgesuchten Data zum Beweise der Willensfreiheit in demselben wirklich liegen sollten, wir hoffen dürfen, daß sie uns nicht entgehn werden. Als das Organ des Selbstbewußtseins hat man auch einen innern Sinn^1 Er findet sich schon beim Cicero als tactus interior: Acaderir: Acad. quaest., I V , 7. Deutlicher beim Augustin, De lib. arb., I I , 3 sqq. Dann bei Cartes: Princ.. phil., I V , 190; und ganz ausgeführt bei Locke. aufgestellt, der jedoch mehr im bildlichen, als im eigentlichen Verstande zu nehmen ist: denn das Selbstbewußtseyn ist unmittelbar. Wie dem auch sei, so ist unsere nächste Frage: was enthält nun das Selbstbewußtseyn? ^1 Er findet sich schon beim Cicero als tactus interior: Acaderir: Acad. quaest., I V , 7. Deutlicher beim Augustin, De lib. arb., I I , 3 sqq. Dann bei Cartes: Princ.. phil., I V , 190; und ganz ausgeführt bei Locke. ⇑ oder: wie wird der Mensch sich seines eigenen Selbsts unmittelbar bewußt? Antwort: durchaus als eines Wollenden. Jeder wird, bei Beobachtung des eigenen Selbstbewußtseyns bald gewahr werden, daß sein Gegenstand allezeit das eigene Wollen ist. Hierunter hat man aber freilich nicht bloß die entschiedenen, sofort zur That werdenden Willensakte und die förmlichen Entschlüsse, nebst den aus ihnen hervorgehenden Handlungen zu verstehen; sondern wer nur irgend das Wesentliche, auch unter verschiedenen Modifikationen des Grades und der Art, festzuhalten vermag, wird keinen Anstand nehmen, auch alles Begehren, Streben, Wünschen, Verlangen, Sehnen, Hoffen, Lieben, Freuen, Jubeln u. dgl., nicht weniger, als Nichtwollen oder Widerstreben, alles Verabscheuen, Fliehen, Fürchten, Zürnen, Hassen, Trauern, Schmerzleiden, kurz alle Affekte und Leidenschaften, den Aeußerungen des Wollens beizuzählen; da diese Affekte und Leidenschaften nur mehr oder minder schwache oder starke, bald heftige und stürmische, bald leise Bewegungen des entweder gehemmten, oder losgelassenen, befriedigten, oder unbefriedigten eigenen Willens sind, und sich alle auf Erreichen oder Verfehlen des Gewollten, und Erdulden oder Ueberwinden des Verabscheuten, in mannigfal- tigen Wendungen, beziehen: sie sind also entschiedene Affektionen des selben Willens, der in den Entschlüssen und Handlungen thätig ist.^1 Es ist sehr beachtenswert, daß schon der Kirchenvater Augustinus dies vollkommen erkannt hat, während so viele Neuere, mit ihrem angeblichen „Gefühlsvermögen\", es nicht einsehen. Nämlich de civit. Dei, Lib. X I V , c. 6, redet er von den affectionibus animi, welche er, im vorhergehenden Buche, unter vier Kategorien, cupiditas, timor, laetitia, tristitia, gebracht hat, und sagt: voluntas est quippe in omnibus, imo omnes nihil aliud, quam voluntates sunt: nam quid est cupidatas et laetitia, nisi voluntas in eorum consensionem, quae volumus? et quid est metus atque tristitia, nisi voluntas in dissensionem ab his, quae nolumus ? Sogar aber gehört eben dahin das, was man Gefühle der Lust und Unlust nennt: diese sind zwar in großer Mannigfaltigkeit von Graden und Arten vorhanden, ^1 Es ist sehr beachtenswert, daß schon der Kirchenvater Augustinus dies vollkommen erkannt hat, während so viele Neuere, mit ihrem angeblichen „Gefühlsvermögen", es nicht einsehen. Nämlich de civit. Dei, Lib. X I V , c. 6, redet er von den affectionibus animi, welche er, im vorhergehenden Buche, unter vier Kategorien, cupiditas, timor, laetitia, tristitia, gebracht hat, und sagt: voluntas est quippe in omnibus, imo omnes nihil aliud, quam voluntates sunt: nam quid est cupidatas et laetitia, nisi voluntas in eorum consensionem, quae volumus? et quid est metus atque tristitia, nisi voluntas in dissensionem ab his, quae nolumus ? ⇑ lassen sich aber doch allemal zurückführen auf begehrende, oder verabscheuende Affektionen, also auf den als befriedigt, oder unbefriedigt, gehemmt, oder losgelassen sich seiner bewußt werdenden Willen selbst: ja, dieses erstreckt sich bis auf die körperlichen, angenehmen, oder schmerzlichen, und alle zwischen diesen beiden liegenden zahllosen Empfindungen; da das Wesen aller dieser Affektionen darin besteht, daß sie als ein dem Willen Gemäßes, oder ihm Widerwärtiges, unmittelbar ins Selbstbewußtseyn treten. Des eigenen Leibes ist man sogar, genau betrachtet, sich unmittelbar nur bewußt als des nach Außen wirkenden Organs des Willens und des Sitzes der Empfänglichkeit für angenehme, oder schmerzliche Empfindungen, welche aber selbst, wie soeben gesagt, auf ganz unmittelbare Affektionen des Willens, die ihm entweder gemäß, oder widrig sind, zurücklaufen. Wir mögen übrigens diese bloßen Gefühle der Lust oder Unlust mit einrechnen oder nicht; jedenfalls finden wir, daß alle jene Bewegungen des Willens, jenes wechselnde Wollen und Nichtwollen, welches, in seinem beständigen Ebben und Fluthen, den alleinigen Gegenstand des Selbstbewußtseyns, oder, wenn man will, des innern Sinnes ausmacht, in durchgängiger und von allen Seiten anerkannter Beziehung steht zu dem in der Außenwelt Wahrgenommenen und Erkannten. Dieses hingegen liegt, wie gesagt, nicht mehr im Bereich des unmittelbaren Selbstbewußtseyns, an dessen Gränze also, wo es an das Gebiet des Bewußtseyns anderer Dinge stößt, wir angelangt sind, sobald wir die Außenwelt berühren. Die in dieser wahrgenommenen Gegenstände sind aber der Stoff und der Anlaß aller jener Bewegungen und Akte des Willens. Man wird dies nicht als eine petitio principii auslegen: denn daß unser Wollen stets äußere Objekte zum Gegenstande hat, auf die es gerichtet ist, um die es sich dreht und die als Motive es wenigstens veranlassen, kann Keiner in Abrede stellen; da er sonst einen von der Außenwelt völlig abgeschlossenen und im finstern Innnern des Selbstbewußtseyns eingesperrten Willen übrig behielte. Bloß die Nothwendigkeit, mit der jene in der Außenwelt gelegenen Dinge die Akte des Willens bestimmen, ist uns für jetzt noch problematisch. Mit dem Willen also finden wir das Selbstbewußtseyn sehr stark, eigentlich sogar ausschließlich beschäftigt. Ob dasselbe nun aber in diesem seinem alleinigen Stoff Data antrifft, aus denen die Freiheit eben jenes Willens, im oben dargelegten, auch allein deutlichen und bestimmten Sinne des Wortes, hervorgienge, ist unser Augenmerk, darauf wir jetzt gerade zusteuern wollen, nachdem wir bis hieher uns ihm zwar nur lavirend, aber doch schon merklich genähert haben. II. Der Wille vor dem Selbstbewußtseyn Wenn ein Mensch will; so will er auch Etwas: sein Willensakt ist allemal auf einen Gegenstand gerichtet und läßt sich nur in Beziehung auf einen solchen denken. Was heißt nun Etwas wollen? Es heißt: der Willensakt, welcher selbst zunächst nur Gegenstand des Selbstbewußtseyns ist, entsteht auf Anlaß von etwas, das zum Bewußtseyn anderer Dinge gehört, also ein Objekt des Erkenntnisvermögens ist, welches Objekt, in dieser Beziehung, Motiv genannt wird und zugleich der Stoff des Willensaktes ist, indem dieser darauf gerichtet ist, d. h. irgend eine Veränderung daran bezweckt, also darauf reagiert: in dieser Reaktion besteht sein ganzes Wesen. Hieraus ist schon klar, daß er ohne dasselbe nicht eintreten könnte; da es ihm sowohl an Anlaß, als an Stoff fehlen würde. Allein es fragt sich, ob, wenn dieses Objekt für das Erkenntnißvermögen dasteht, der Willensakt nun auch eintreten muß, oder vielmehr ausbleiben und entweder gar keiner, oder auch ein ganz anderer, wohl gar entgegengesetzter entstehen könnte, also ob jene Reaktion auch ausbleiben, oder, unter völlig gleichen Umständen, verschieden, ja entgegengesetzt ausfallen könne. Dies heißt in der Kürze: wird der Willensakt durch das Motiv mit Nothwendigkeit hervorgerufen? oder behält vielmehr, beim Eintritt dieses ins Bewußtseyn, der Wille gänzliche Freiheit zu wollen, oder nicht zu wollen? Hier also ist der Begriff der Freiheit in jenem oben erörterten und als hier allein anwendbar nachgewiesenen, abstrakten Sinn, als bloße Negation der Nothwendigkeit genommen und somit unser Problem festgestellt. Im unmittelbaren Selbstbewußtseyn aber haben wir die Data zur Lösung desselben zu suchen, und werden zu dem Ende dessen Aussage genau prüfen, nicht aber, durch eine summarische Entscheidung, den Knoten zerhauen, wie Kartesius, der ohne Weiteres die Behauptung aufstellte: Libertatis autein et indifferentiae, quae in nobis est, nos ita conscios esse, ut nihil sit, quod evidentius et perfectius comprehendamus. (princ. phil., I, §. 41.) Das Unstatthafte dieser Behauptung hat schon Leibniz gerügt (Theod., I, §. 50, et III, §. 292). der doch selbst, in diesem Punkt, nur ein schwankes Rohr im Winde war und, nach den widersprechendesten Äußerungen, endlich zu dem Resultate gelangt, daß der Wille durch die Motive zwar inflinirt, aber nicht necessitirt würde. Er sagt nämlich: Omnes actiones sunt determinatae, et nunquam indifferentes, qui semper datur ratio inclinans quidem, non tamen necessitans, ut sic potius, quam aliter fiat. (Leibnitz, De libertate: Opera, ed Erdmann, p. 669.) Dies giebt mir Anlaß zu bemerken, daß ein solcher Mittelweg zwischen der oben gestellten Alternative nicht haltbar ist und man nicht, einer gewissen beliebten Halbheit gemäß, sagen kann, die Motive bestimmten den Willen nur gewissermaaßen, er erleide ihre Einwirkung, aber nur bis zu einem gewissen Grade, und dann könne er sich ihr entziehen. Denn sobald wir einer gegebenen Kraft Kausaliät zugestanden haben, also erkannt haben, daß sie wirkt; so bedarf es, bei etwanigem Widerstande, nur der Verstärkung der Kraft, nach Maaßgabe des Widerstandes, und sie wird ihre Wirkung vollenden. Wer mit 10 Dukaten nicht zu bestechen ist, aber wankt, wird es mit 100 sein, u.s.f. Wir wenden uns also mit unserm Problem an das unmittelbare Selbstbewußtseyn, in dem Sinn, den wir oben festgestellt haben. Melden Aufschluß giebt uns nun wohl dieses Selbstbewußtseyn über jene abstrakte Frage, nämlich über die Anwendbarkeit, oder Nichtanwendbarkeit, des Begriffs der Notwendigkeit auf den Eintritt des Willensaktes, nach gegebenem, d. h. dem Intellekt vorgestellten, Motiv? oder über die Möglichkeit, oder Unmöglichkeit, seines Ausbleibens in solchem Fall? Wir würden uns sehr getäuscht finden, wenn wir gründliche und tiefgehende Aufschlüsse über Kausalität überhaupt und Motivation insbesondere, wie auch über die etwanige Nothwendigkeit, welche beide mit sich führen, von diesem Selbstbewußtsein erwarteten; da dasselbe, wie es allen Menschen einwohnt, ein viel zu einfaches und beschränktes Ding ist, als daß es von dergleichen mitreden könnte: vielmehr sind diese Begriffe aus dem reinen Verstande, der nach außen gerichtet ist, geschöpft und können allererst vor dem Forum der reflektirenden Vernunft zur Sprache gebracht werden. Jenes natürliche, einfache, ja, einfältige Selbstbewußtseyn hingegen kann nicht ein Mal die Frage verstehen, geschweige sie beantworten. Seine Aussage über die Willensakte, welche Jeder in seinem eigenen Innern behorchen mag, wird, wenn von allem Fremdartigen und Unwesentlichen entblößt und auf ihren nackten Gehalt zurückgeführt, sich etwan so ausdrücken lassen: „Ich kann wollen, und wann ich eine Handlung wollen werde; so werden die beweglichen Glieder meines Leibes dieselbe sofort vollziehen, sobald ich nur will, ganz unausbleiblich." Das heißt in der Kürze: „Ich kann thun was ich will." Weiter geht die Aussage des unmittelbaren Selbstbewußtseyns nicht, wie man sie auch wenden und in welcher Form man auch die Frage stellen mag. Seine Aussage bezieht sich also immer auf das Thun können dem Willen gemäß: dies aber ist der gleich Anfangs aufgestellte empirische, ursprüngliche und populäre Begriff der Freiheit, nach welchem frei bedeutet „dem Wille ngemäß".Diese Freiheit wird das Selbstbewußtseyn unbedingt aussagen. Aber es ist nicht die wonach wir fragen. Das Selbstbewußtseyn sagt die Freiheit des Thuns aus, — unter Voraussetzung des Wollens : aber die Freiheit des Wollens ist es, danach gefragt worden. Wir forschen nämlich nach dem Verhältnis des Wollens selbst zum Motiv: hierüber aber enthält jene Aussage, „ich kann thun was ich will", nichts. Die Abhängigkeit unsers Thuns, d. h. unserer körperlichen Aktionen, von unserm Willen, welche das Selbstbewußtseyn allerdings aussagt, ist etwas ganz Anderes, als die Unabhängigkeit unserer Willensakte von den äußern Umständen, welche die Willensfreiheit ausmachen würde, über welche aber das Selbstbewußtsein nichts aussagen kann, weil sie außerhalb seiner Sphäre liegt, indem sie das Kausalverhältniß der Außenwelt (die uns als Bewußtseyn von andern Dingen gegeben ist) zu unsern Entschlüssen betrifft, das Selbstbewußtseyn aber nicht die Beziehung dessen, was ganz außer seinem Bereiche liegt, zu dem, was innerhalb desselben ist, beurtheilen kann. Denn keine Erkenntnißkraft kann ein Verhältnis feststellen, von dessen Gliedern das eine ihr auf keine Weise gegeben werden kann. Offenbar aber liegen die Objekte des Wollens, welche eben den Willensakt bestimmen, außerhalb der Gränze des Selbstbewußtseyns im Bewußtsein von andern Dingen; der Willensakt selbst allein in demselben, und nach dem Kausalverhältniß jener zu diesem wird gefragt. Sache des Selbstbewußtseyns ist allein der Willensakt, nebst seiner absoluten Herrschaft über die Glieder des Leibes, welche eigentlich mit dem „was ich will" gemeint ist. Auch ist es erst der Gebrauch dieser Herrschaft, d. i. die That, die ihn, selbst für das Selbstbewußtseyn, zum Willensakte stempelt. Denn so lange er im Werden begriffen ist, heißt er Wunsch, wenn fertig, Entschluß; daß er aber dies sei, beweist dem Selbstbewußtsein erst die That: denn bis zu ihr ist er veränderlich. Und hier stehen wir schon gleich an der Hauptquelle jenes allerdings nicht zu leugnenden Scheines, vermöge dessen der Unbefangene (d. i. philosophisch Rohe) meint, daß ihm, in einem gegebenen Fall, entgegengesetzte Willensakte möglich wären, und dabei auf sein Selbstbewußtseyn pocht, welches, meint er, dies aussagte. Er verwechselt nämlich Wünschen mit Wollen. Wünschen kann er Entgegengesetztes^1 Siehe „Parerga\", Bd. 2, §. 327 der ersten (§. 339 der zweiten) Auslage. ; aber Wollen nur Eines davon: und welches dieses sei, offenbart auch dem Selbstbewußtsein allererst die That. Über die gesetzmäßige Nothwendigkeit aber, vermöge deren, von entgegengesetzten Wünschen, der eine und nicht der andere zum Willensakt und That wird, kann eben deshalb das Selbstbewußtsein nichts enthalten, da es das Resultat so ganz a posteriori erfährt, nicht aber a priori weiß. Entgegengesetzte Wünsche mit ihren Motiven steigen vor ihm auf und nieder, abwechselnd und wiederholt: über jeden derselben sagt es aus, daß er zur Tat werden wird, wenn er zum Willensakt wird. Denn diese letztere rein subjektive Möglichkeit ist zwar zu jedem vorhanden und ist eben das „ich kann thun was ich will". Aber diese subjektive Möglichkeit ist ganz hypothetisch: sie besagt bloß: „wenn ich dies will, kann ich es thun". Allein die zum Wollen erforderliche Bestimmung liegt nicht darin; da das Selbstbewußtseyn bloß das Wollen, nicht aber die zum Wollen bestimmenden Gründe enthält, welche im Bewußtsein anderer Dinge, d. h. im Erkenntnißvermögen, liegen. Hingegen ist es die objektive Möglichkeit, die den Ausschlag giebt: diese aber liegt außerhalb des Selbstbewußtseyns, in der Welt der Objekte, zu denen das Motiv und der Mensch als Objekt gehört, ist daher dem Selbstbewußtseyn fremd und gehört dem Bewußtseyn anderer Dinge an. Jene subjektive Möglichkeit ist gleicher Art mit der, welche im Steine liegt, Funken zu geben, jedoch bedingt ist durch den Stahl, an welchem die objektive Möglichkeit haftet. Ich werde hierauf von der andern Seite zurückkommen, im folgenden Abschnitt, wo wir den Willen nicht mehr, wie hier, von Innen, sondern von Außen betrachten und also die objektive Möglichkeit des Willensaktes untersuchen werden: alsdann wird die Sache, nachdem sie so von zwei ^1 Siehe „Parerga", Bd. 2, §. 327 der ersten (§. 339 der zweiten) Auslage. ⇑ verschiedenen Seiten beleuchtet worden, ihre volle Deutlichkeit erhalten und auch durch Beispiele erläutert werden. Also das im Selbstbewußtseyn liegende Gefühl „ich kann thun was ich will" begleitet uns beständig, besagt aber bloß, daß die Entschlüsse, oder entschiedenen Akte unsers Willens, obwohl in der dunkeln Tiefe unsers Innern entspringend, allemal gleich übergehen werden in die anschauliche Welt, da zu ihr unser Leib, wie alles Andere, gehört. Dies Bewußtseyn bildet die Brücke zwischen Innenwelt und Außenwelt, welche sonst durch eine bodenlose Kluft getrennt blieben; indem alsdann in der letztern bloße von uns in jedem Sinn unabhängige Anschauungen als Objekte, — in der erstem lauter erfolglose und bloß gefühlte Willensakte liegen würden. — Befragte man einen ganz unbefangenen Menschen; so würde er jenes unmittelbare Bewußtseyn, welches so häufig für das einer vermeinten Willensfreiheit gehalten wird, etwan so ausdrücken: „Ich kann thun was ich will: will ich links gehen, so gehe ich links: will ich rechts gehen, so gehe ich rechts. Das hängt ganz allein von meinem Willen ab: ich bin also frei." Diese Aussage ist allerdings vollkommen wahr und richtig: nur liegt bei ihr der Wille schon in der Voraussetzung: sie nimmt nämlich an, daß er sich schon entschieden habe: also kann über sein eigenes Freiseyn dadurch nichts ausgemacht werden. Denn sie redet keineswegs von der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit des Eintrittes des Willensaktes selbst, sondern nur von den Folgen dieses Akts, sobald er eintritt, oder, genauer zu reden, von seiner unausbleiblichen Erscheinung als Leibesaktion. Das jener Aussage zum Grunde liegende Bewußtseyn ist es aber ganz allein, was den Unbefangenen, d. h. den philisophisch rohen Menschen, der dabei jedoch in andern Fächern ein großer Gelehrter sein kann, die Willensfreiheit für etwas so ganz unmittelbar Gewisses halten läßt, daß er sie als unzweifelhafte Wahrheit ausspricht und eigentlich gar nicht glauben kann, die Philosophen zweifelten im Ernste daran, sondern in seinem Herzen meint, all das Gerede darüber sei bloße Fechtübung der Schuldialektik und im Grunde Spaaß. Eben aber weil ihm die durch jenes Bewußtseyn gegebene und allerdings wichtige Gewißheit stets so sehr zur Hand ist, und zudem weil der Mensch, als ein zunächst und wesentlich praktisches, nicht theoretisches Wesen, sich der aktiven Seite seiner Willensakte, d. h. der ihrer Wirksamkeit, sehr viel deutlicher bewußt wird, als der passiven, d. h. der ihrer Abhängigkeit; so hält es schwer, dem philosophisch rohen Menschen den eigentlichen Sinn unseres Problems faßlich zu machen und ihn dahin zu bringen, daß er begreift, die Frage sei jetzt nicht nach den Folgen, sondern nach den Gründen seines jedesmaligen Wollens; sein Thun zwar hänge ganz allein von jenem Wollen ab, jetzt aber verlange man zu wissen, wovon denn sein Wollen selbst abhänge, ob von gar nichts, oder von etwas? er könne allerdings das Eine thun, wenn er wolle, und ebenso gut das Andere thun, wenn er wolle: aber er solle jetzt sich besinnen, ob er denn auch das Eine wie das Andere zu wollen fähig sei. Stellt man nun, in dieser Absicht, dem Menschen die Frage etwan so: „Kannst du wirklich, von in dir aufgestiegenen entgegengesetzten Wünschen, dem Einen sowohl, als dem Andern Folge leisten? z. B. bei einer Wahl zwischen zwei einander ausschließenden Gegenständen des Besitzes ebenso gut den Einen, als den Andern vorziehen?" Da wird er sagen: „Vielleicht kann mir die Wahl schwer fallen: immer jedoch wird es ganz allein von mir abhängen, ob ich das Eine oder das Andere wählen will, und von keiner andern Gewalt: da habe ich volle Freiheit, welches ich will zu erwählen, und dabei werde ich immer ganz allein meinen Willen befolgen." — Sagt man nun: „Aber dein Wollen selbst, wovon hängt das ab?" so antwortet der Mensch aus dem Selbstbewußtseyn: „Von gar nichts als von mir! — Ich kann wollen was ich will: was ich will das will ich." — Und letzteres sagt er, ohne dabei die Tautologie zu beabsichtigen, oder auch nur im innersten seines Bewußtseins sich auf den Satz der Identität zu stützen, vermöge dessen allein das wahr ist. Sondern, hier aufs äußerste bedrängt, redet er von einem Wollen seines Wollens, welches ist, als ob er von einem Ich seines Ichs redete. Man hat ihn auf den Kern seines Selbstbewußtseyns zurückgetrieben, wo er sein Ich und seinen Willen als ununterscheidbar antrifft, aber nichts übrig bleibt, um beide zu beurtheilen. Ob, bei jener Wahl, sein Wollen selbst des Einen und nicht des Andern, da seine Person und Gegenstände der Wahl hier als gegeben angenommen sind, irgend möglicherweise auch anders ausfallen könnte, als es zuletzt ausfällt; oder ob, durch die eben angegebenen Data, dasselbe so notwendig festgestellt ist, wie daß im Triangel dem größten Winkel die größte Seite gegenüber liegt; das ist eine Frage, die dem natürlichen Selbstbewußtseyn so fern liegt, daß es nicht ein Mal zu ihrem Verständniß zu bringen ist, geschweige daß es die Antwort auf sie fertig, oder auch nur als unentwickelten Keim, in sich trüge und sie nur naiv von sich zu geben brauchte. — Angegebenermaaßen wird also der unbefangene, aber philosophisch rohe Mensch immer noch vor der Perplexität, welche die Frage, wenn wirklich verstanden, herbeiführen muß, sich zu flüchten suchen hinter jene unmittelbare Gewißheit „was ich will kann ich thun, und ich will was ich will", wie oben gesagt. Dies wird er immer von Neuem versuchen, unzählige Mal; so daß es schwer halten wird, ihn vor der eigentlichen Frage, der er immer zu entschlüpfen sucht, zum Stehen zu bringen. Und dies ist ihm nicht zu verargen: denn die Frage ist wirklich eine höchst bedenkliche. Sie greift mit forschender Hand in das allerinnerste Wesen des Menschen: sie will wissen, ob auch er, wie alles Uebrige in der Welt, ein durch seine Beschaffenheit selbst ein für alle Mal entschiedenes Wesen sei, welches, wie jedes Andere in der Natur, seine bestimmten, beharrlichen Eigenschaften habe, aus denen seine Reaktionen auf entstehenden äußern Anlaß nothwendig hervorgehen, die demnach ihren von dieser Seite unabänderlichen Charakter tragen und folglich in dem, was an ihnen etwan modifikabel sein mag, der Bestimmung durch die Anlässe von Außen gänzlich Preis gegeben sind; oder ob er allein eine Ausnahme von der ganzen Natur mache. Gelingt es dennoch endlich, ihn vor dieser so bedenklichen Frage zum Stehen zu bringen und ihm deutlich zu machen, daß hier nach dem Ursprung seiner Willensakte selbst, nach der etwanigen Regel, oder gänzlichen Regellosigkeit ihres Entstehens geforscht wird; so wird man entdecken, daß das unmittelbare Selbstbewußtseyn hierüber keine Auskunft enthält, indem der unbefangene Mensch hier selbst davon abgeht und seine Ratlosigkeit durch Nachsinnen und allerlei Erklärungsversuche an den Tag legt, deren Gründe er bald aus der Erfahrung, wie er sie an sich und Andern gemacht hat, bald aus allgemeinen Verstandsregeln zu nehmen versucht, dabei aber durch die Unsicherheit und das Schwanken seiner Erklärungen genugsam zeigt, daß sein unmittelbares Selbstbewußtsein über die richtig verstandene Frage keine Auskunft liefert, wie es vorhin über die irrig verstandene sie gleich bereit hatte. Dies liegt im letzten Grunde daran, daß des Menschen Wille sein eigentliches Selbst, der wahre Kern seines Wesens ist: daher macht derselbe den Grund seines Bewußtseyns aus, als ein schlechthin Gegebenes und Vorhandenes, darüber er nicht hinaus kann. Denn er selbst ist wie er will, und will wie er ist. Daher ihn fragen, ob er auch anders wollen könnte, als er will, heißt ihn fragen, ob er auch wohl ein Andrer sein könnte, als er selbst: und das weiß er nicht. Eben deshalb muß auch der Philosoph, der sich von Jenem bloß durch die Uebung unterscheidet, wenn er in dieser schwierigen Angelegenheit zur Klarheit kommen will, an seinen Verstand, der Erkenntnisse a priori liefert, an die solche überdenkende Vernunft und an die Erfahrung, welche sein und Andrer Thun, zur Auslegung und Kontrole solcher Verstandeserkenntniß ihm vorführt, als letzte und allein kompetente Instanz sich wenden, deren Entscheidung zwar nicht so leicht, so unmittelbar und einfach, wie die des Selbstbewußtseyns, dafür aber doch zur Sache und ausreichend sein wird. Der Kopf ist es, der die Frage aufgeworfen hat, und er auch muß sie beantworten. Uebrigens darf es uns nicht wundern, daß jene abstruse, spekulative, schwierige und bedenkliche Frage das unmittelbare Selbstbewußtseyn keine Antwort aufzuweisen hat. Denn dieses ist ein sehr beschränkter Theil unsers gesammten Bewußtseyns, welches in seinem Innern dunkel, mit allen seinen objektiven Erkenntnißkräften ganz nach Außen gerichtet ist. Alle seine vollkommen sicheren, d. h. a priori gewissen Erkenntnisse betreffen ja allein die Außenwelt, und da kann es denn nach gewissen allgemeinen Gesten, die in ihm selbst wurzeln, sicher entscheiden, was da draußen möglich, was unmöglich, was nothwendig sei, und bringt auf diesem Wege reine Mathematik, reine Logik, ja, reine Fundamental-Naturwissenschaft a priori zu Stande. Demnächst liefert die Anwendung seiner a priori bewußten Formen auf die in der Sinnesempfindung gegebenen Data ihm die anschauliche, reale Außenwelt und damit die Erfahrung: ferner wird die Anwendung der Logik und der dieser zum Grunde liegenden Denkfähigkeit auf jene Außenwelt die Begriffe, die Welt der Gedanken, liefern, dadurch wieder die Wissenschaften, deren Leistungen u. s. w. Da draußen also liegt vor seinen Blicken große Helle und Klarheit. Aber innenist es finster, wie ein gut geschwärztes Fernrohr: kein Satz a priori erhellt die Nacht seines eigenen Innern; sondern diese Leuchttürme strahlen nur nach außen. Dem sogenannten innern Sinn liegt, wie oben erörtert, nichts vor, als der eigene Wille, auf dessen Bewegungen eigentlich auch alle sogenannten innern Gefühle zurückzuführen sind. Alles aber, was diese innere Wahrnehmung des Willens liefert, läuft, wie oben gezeigt, zurück auf Wollen und Nichtwollen, nebst der belobten Gewißheit "was ich will, das kann ich thun", welches eigentlich besagt: "jeden Akt meines Willens sehe ich sofort (auf eine mir ganz unbegreifliche Weise) als eine Aktion meines Leibes sich darstellen", — und genau genommen, für das erkennende Subjekt ein Erfahrungssatz ist. Darüber hinaus ist hier nichts zu finden. Für die aufgeworfene Frage ist also der angegangene Richterstuhl inkompetent: ja, sie kann, in ihrem wahren Sinn, gar nicht vor ihn gebracht werden, da er sie nicht versteht. Den auf unsere Anfrage beim Selbstbewußtseyn erhaltenen Bescheid resümiere ich jetzt nochmals in kürzerer und leichterer Wendung. Das Selbstbewußtseyn eines Jeden sagt sehr deutlich aus, daß er thun kann was er will. Da nun auch ganz entgegengesetzte Handlungen als von ihm gewollt gedacht werden können; so folgt allerdings, daß er auch Entgegengesetztes thun kann, wenn er will. Dies verwechselt nun der rohe Verstand damit, daß er, in einem gegebenen Fall, auch Entgegengesetztes wollen könne, und nennt dies die Freiheit des Willens. Allein daß er, in einem gegebenen Fall, Entgegengesetztes wollen könne, ist schlechterdings nicht in obiger Aussage enthalten, sondern bloß dies, daß von zwei entgegengesetzten Handlungen, er, wenn er diese will,sie thun kann, und wenn er jene will, sie ebenfalls thun kann: ob er aber die eine so wohl als die andere, im gegebenen Fall, wollen könne, bleibt unausgemacht und ist Gegenstand einer tiefern Untersuchung, als durch das bloße Selbstbewußtseyn entschieden werden kann. Die kürzeste, wenn gleich scholastische Formel für dieses Resultat würde lauten: die Aussage des Selbstbewußtseyns betrifft den Willen bloß a parte post; die Frage nach der Freiheit hingegen a parte ante. — Also jene unleugbare Aussage des Selbstbewußtseyns „ich kann thun was ich will" enthält und entscheidet durchaus nichts über die Freiheit des Willens, als welche darin bestehen würde, daß der jedesmalige Willensakt selbst, im einzelnen individuellen Fall, also bei gegebenem individuellen Charakter, nicht durch die äußern Umstände, in denen hier dieser Mensch sich befindet, noth- wendig bestimmt würde, sondern jetzt so und auch anders ausfallen könnte. Hierüber aber bleibt das Selbstbewußtseyn völlig stumm: denn die Sache liegt ganz außer seinem Bereich; da sie auf dem Kausalverhältniß zwischen der Außenwelt und dem Menschen beruht. Wenn man einen Menschen von gesundem Verstande, aber ohne philosophische Bildung fragt, worin denn die auf Aussage seines Selbstbewußtseyns so zuverlässig von ihm behauptete Willensfreiheit bestehe; so wird er antworten: „Darin, daß ich thun kann was ich will, sobald ich nicht physisch gehemmt bin." Also ist es immer das Verhältniß seines Thuns zu seinem Wollen, wovon er redet. Dies aber ist, wie im ersten Abschnitt gezeigt, noch bloß die Physische Freiheit. Frägt man ihn weiter, ob er alsdann, im gegebenen Fall, sowohl eine Sache als ihr Gegentheil wollen könne; so wird er zwar im ersten Eifer es bejahen: sobald er aber den Sinn der Frage zu begreifen anfängt, wird er auch anfangen bedenklich zu werden, endlich in Unsicherheit und Verwirrung gerathen und aus dieser sich am liebsten wieder hinter sein Thema „ich kann thun was ich will" retten und daselbst gegen alle Gründe und alles Räsonnement verschanzen. Die berichtigte Antwort auf sein Thema aber würde, wie ich im folgenden Abschnitt außer Zweifel zu sehen hoffe, lauten: „Du kannst thun was du willst: aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblick deines Lebens, nur Ein Bestimmtes wollen und schlechterdings nichts Anderes, als dieses Eine." Durch die in diesem Abschnitte enthaltene Auseinandersetzung wäre nun eigentlich schon die Frage der königl. Societät und zwar verneinend beantwortet; wiewohl nur in der Hauptsache, indem auch diese Darlegung des Tatbestandes im Selbstbewußtseyn noch einige Vervollständigung im Nachfolgenden enthalten wird. Nun aber auch für diese unsere verneinende Antwort giebt es, in einem Fall, noch eine Kontrole. Wenn wir nämlich uns jetzt mit der Frage an diejenige Behörde, zu welcher, als der allein kompetenten, wir im Vorhergehenden verwiesen wurden, nämlich an den reinen Verstand, die über die Data desselben reflektierende Vernunft und die im Gefolge beider gehende Erfahrung wenden, und deren Entscheidung fiele etwan dahin aus, daß ein liberum arbitrium überhaupt nicht existire, sondern das Handeln des Menschen, wie alles Andere in der Natur, in jedem gegebenen Fall, als eine nothwendig eintretende Wirkung erfolge; so würde uns dieses noch die Gewißheit geben, daß im unmittelbaren Selbstbewußtseyn Data, aus denen das nachgefragte liberum arbitrium sich beweisen ließe, auch nicht ein Mal liegen können; wodurch, mittelst des Schlusses a non posse ad non esse, welcher der einzige mögliche Weg ist, negative Wahrheiten a priori festzustellen, unsere Entscheidung, zu der bisher dargelegten empirischen, noch eine rationelle Begründung erhalten würde, mithin alsdann doppelt sicher gestellt wäre. Denn ein entschiedener Widerspruch zwischen den unmittelbaren Aussagen des Selbstbewußtseins und den Ergebnissen aus den Grundsätzen des reinen Verstandes, nebst ihrer Anwendung auf Erfahrung, darf nicht als möglich angenommen werden: ein solches lügenhaftes Selbstbewußtsein kann das unselige nicht sein. Wobei zu bemerken ist, daß selbst die von Kant über dieses Thema aufgestellte vergebliche Antinomie, auch bei ihm selbst, nicht etwan dadurch entstehen soll, daß Thesis und Antithesis von verschiedenen Erkenntnißquellen, die eine etwan von Aussagen des Selbstbewußtseyns, die andere von Vernunft und Erfahrung ausgienge; sondern Thesis und Antithesis vernünfteln beide aus angeblich objektiven Gründen; wobei aber die Thesis auf gar nichts, als auf der faulen Vernunft, d. h. dem Bedürfnis im Regressus irgend ein Mal stille zu stehen, fußet, die Antithesis hingegen alle objektiven Gründe wirtlich für sich hat. Diese demnach jetzt vorzunehmende indirekte, auf dem Felde des Erkenntnisvermögens und der ihm vorliegenden Außenwelt sich haltende Untersuchung wird aber zugleich viel Licht zurückwerfen auf die bis hieher vollzogene direkte und so zur Ergänzung derselben dienen, indem sie die natürlichen Täuschungen aufdecken wird, die aus der falschen Auslegung jener so höchst einfachen Aussage des Selbstbewußtseyns entstehen, wann dieses in Konflikt geräth mit dem Bewußtsein von andern Dingen, welches das Erkenntnißvermögen ist und in einem und demselben Subjekt mit dem Selbstbewußtseyn wurzelt. Ja, erst am Schluß dieser indirekten Untersuchung wird uns über den wahren Sinn und Inhalt jenes alle unsere Handlungen begleitenden „Ich will", und über das Bewußtseyn der Ursprünglichkeit und Eigenmächtigkeit, vermöge dessen sie unsere Handlungen sind, einiges Licht aufgehen; wodurch die bis hieher geführte direkte Untersuchung allererst ihre Vollendung erhalten wird. III. Der Wille vor dem Bewußtseyn anderer Dinge Wenn wir uns nun an das Erkenntnißvermögen mit unserm Probleme wenden; so wissen wir zum Voraus, daß, da dieses Vermögen wesentlich nach außen gerichtet ist, der Wille für dasselbe nicht ein Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung sein kann, wie er dies für das, dennoch in unserer Sache inkompetent befundene Selbstbewußtseyn war; sondern, daß hier nur die mit einem Willen begabten Wesen betrachtet werden können, welche vor dem Erkenntnisvermögen als objektive und äußere Erscheinungen, d. h. als Gegenstände der Erfahrung, dastehen und nunmehr als solche zu untersuchen und zu beurtheilen sind, theis nach allgemeinen für die Erfahrung überhaupt, ihrer Möglichkeit nach, feststehenden, a priori gewissen Regeln, theils nach den Thatsachen, welche die fertige und wirklich vorhandene Erfahrung liefert. Also nicht mehr, wie vorhin, mit dem Willen selbst, wie er nur dem innern Sinne offen liegt; sondern mit den wollenden, vom Willen bewegten Wesen, welche Gegenstände der äußern Sinne sind, haben wir es hier zu thun. Wenn wir nun auch dadurch in den Nachtheil versetzt sind, den eigentlichen Gegenstand unsers Forschens nur mittelbar und aus größerer Entfernung betrachten zu müssen; so wird derselbe überwogen durch den Vortheil, daß wir uns jetzt eines viel vollkommeneren Organons bei unserer Untersuchung bedienen können, als das dunkle, dumpfe, einseitige, direkte Selbstbewußtseyn, der sogenannte innere Sinn, war: nämlich des mit allen äußern Sinnen und allen Kräften zum objektiven Auffassen ausgerüsteten Verstandes. Als die allgemeinste und grundwesentliche Form dieses Verstandes finden wir das Gesetz der Kausalität, da sogar allein durch dessen Vermittelung die Anschauung der realen Außenwelt zu Stande kommt, als bei welcher wir die in unsern Sinnesorganen empfundenen Affektionen und Veränderungen sogleich und ganz unmittelbar als „ Wirkungen" auffassen und (ohne Anleitung, Belehrung und Erfahrung) augenblicklich von ihnen den Uebergang machen zu ihren „Ursachen", welche nunmehr, eben durch diesen Verstandesproceß, als Objekte im Raum sich darstellen ^1 Die gründliche Ausführung dieser Lehre findet man in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 21. . Hieraus erhellt unwidersprechlich, daß das Gesetz der Kausalität uns a priori, folglich als ein, hinsichtlich der Möglichkeit aller Erfahrung überhaupt, nothwendiges bewußt ist; ohne daß wir des indirekten, schwierigen, ja, ungenügenden Beweises, den Kant für diese wichtige Wahrheit gegeben hat, bedürften. Das Gesetz der Kausalität steht a priori fest, als die allgemeine Regel, welcher alle reale Objekte der Außenwelt ohne Ausnahme unterworfen sind. Diese Ausnahmslosigkeit verdankt es eben seiner Apriorität. Dasselbe bezieht sich wesentlich und ausschließlich auf Veränderungen, und besagt, daß wo und wann, in der objektiven, realen, materiellen Welt, irgend etwas, groß oder klein, viel oder wenig,sich verändert, nothwendig gleich vorher auch etwas Anderes sich verändert haben muß, und damit dieses sich veränderte, vor ihm wieder ein Anderes, und so ins Unendliche, ohne daß irgend ein Anfangspunkt dieser regressiven Reihe von Veränderungen, welche die Zeit erfüllt, wie die Materie den Raum, jemals abzusehen, oder auch nur als möglich zu denken, geschweige vorauszusetzen wäre. Denn die unermüdlich sich erneuernde Frage „was führte diese Veränderung herbei?" gestattet dem Verstande nimmermehr einen letzten Ruhepunkt; wie sehr er auch dabei ^1 Die gründliche Ausführung dieser Lehre findet man in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 21. ⇑ ermüden mag: weshalb eine erste Ursache gerade so undenkbar ist, wie ein Anfang der Zeit oder eine Gränze des Raumes. — Nicht minder besagt das Gesetz der Kausalität, daß wenn die frühere Veränderung, — die Ursache, — eingetreten ist, die dadurch herbeigeführte spätere, — die Wirkung, — ganz unausbleiblich eintreten muß, mithin nothwendig erfolgt. Durch diesen Charakter von Nothwendigkeit bewährt sich das Gesetz der Kausalität als eine Gestaltung des Satzes vom Grunde, welcher die allgemeinste Form unsers gesammten Erkenntnißvermögens ist und wie in der realen Welt als Ursächlichkeit, so in der Gedankenwelt als logisches Gesetz vom Erkenntnißgrunde, und selbst im leeren, aber a priori angeschaueten Raume als Gesetz der streng nothwendigen Abhängigkeit der Lage aller Theile desselben gegenseitig von einander auftritt; — welche nothwendige Abhängigkeit speciell und ausführlich nachzuweisen, das alleinige Thema der Geometrie ist. Daher eben, wie ich schon im Anfange erörtert habe, nothwendig sein und Folge eines gegebenen Grundes sein Wechselbegriffe sind. Alle an den objektiven, in der realen Außenwelt liegenden Gegenständen vorgehende Veränderungen sind also dem Gesetz der Kausalität unterworfen, und treten daher, wann und wo sie eintreten, allemal als nothwendig und unausbleiblich ein. — Eine Ausnahme hievon kann es nicht geben, da die Regel a priori für alle Möglichkeit der Erfahrung feststeht. Hinsichtlich ihrer Anwendung aber auf einen gegebenen Fall, ist bloß zu fragen, ob es sich um eine Veränderung eines in der äußern Erfahrung gegebenen realen Objekts handelt: sobald dies ist, unterliegen seine Veränderungen der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, d. h. müssen durch eine Ursache, eben darum aber nothwendig herbeigeführt sein. Gehen wir nun mit unserer allgemeinen, a priori gewissen und daher für alle mögliche Erfahrung ohne Ausnahme gül- tigen Regel an diese Erfahrung selbst näher heran und betrachten die in derselben gegebenen realen Objekte, auf deren etwan eintretende Veränderungen unsere Regel sich bezieht; so bemerken wir bald an diesen Objekten einige tief eingreifende Hauptunterschiede, nach denen sie auch längst klassifizirt sind: nämlich sie sind alle theils unorganische, d. h. leblose, theils organische, d. h. lebendige, und diese wieder theils Pflanzen, theils Tiere. Diese letzteren wieder finden wir, wenn auch im Wesentlichen einander ähnlich und ihrem Begriff entsprechend, doch in einer überaus mannigfaltigen und sein nüancirten Stufenfolge der Vollkommenheit, von den der Pflanze noch nahe verwandten, schwer von ihr zu unterscheidenden an, bis hinauf zu den vollendetesten, dem Begriffe des Thiers am vollkommensten entsprechenden: auf dem Gipfel dieser Stufenfolge sehen wir den Menschen, — uns selbst. Betrachten wir nun, ohne uns durch jene Mannigfaltigkeit irre machen zu lassen, alle diese Wesen sämmtlich nur als objektive, reale Gegenstände der Erfahrung, und schreiten demgemäß zur Anwendung unseres, für die Möglichkeit aller Erfahrung, a priori feststehenden Gesetzes der Kausalität auf die mit solchen Wesen etwan vorgehenden Veränderungen; so werden wir finden, daß zwar die Erfahrung überall dem a priori gewissen Gesetze gemäß ausfällt; jedoch der in Erinnerung gebrachten großen Verschiedenheit im Wesen aller jener Erfahrungsobjekte, auch eine ihr angemessene Modifikation in der Art, wie die Kausalität ihr Recht an ihnen geltend macht, entspricht. Näher: es zeigt sich, dem dreifachen Unterschiede von unorganischen Körpern, Pflanzen und Thieren entsprechend, die alle ihre Veränderungen leitende Kausalität ebenfalls in drei Formen, nämlich als Ursach im engsten Sinne des Worts, oder als Reiz, oder als Motivation, — ohne daß durch diese Modifikation ihre Gültigkeit a priori und folglich die durch sie gesetzte Nothwendigkeit des Erfolgs im Mindesten beeinträchtigt würde. Die Ursach im engsten Sinne des Worts ist die, vermöge welcher alle mechanischen, physikalischen und chemischen Veränderungen der Erfahrungsgegenstände eintreten. Sie charakterisirt sich überall durch zwei Merkmale: erstlich dadurch, daß bei ihr das dritte Neutonische Grundgesetz „Wirkung und Gegenwirkung sind einander gleich" seine Anwendung findet: d. h. der vorhergehende Zustand, welcher Ursach heißt, erfährt eine gleiche Veränderung, wie der nachfolgende, welcher Wirkung heißt. — Zweitens dadurch, daß, dem zweiten Neutonischen Gesetze gemäß, allemal der Grad der Wirkung dem Grade der Ursach genau angemessen ist, folglich eine Verstärkung dieser auch eine gleiche Verstärkung jener herbeiführt; so daß, wenn nur ein Mal die Wirkungsart bekannt ist, sofort aus dem Grade der Intensität der Ursach auch der Grad der Wirkung, und vice versa, sich wissen, messen und berechnen läßt. Bei empirischer Anwendung dieses zweiten Merkmals darf man jedoch nicht die eigentliche Wirkung verwechseln mit ihrer augenfälligen Erscheinung. Z. B. man darf nicht erwarten, daß, bei der Zusammendrückung eines Körpers, sein Umfang immerfort abnehme in dem Verhältniß wie die zusammendrückende Kraft zunimmt. Denn der Raum, in den man den Körper zwängt, nimmt immer ab, folglich der Widerstand zu: und wenn nun gleich auch hier die eigentliche Wirkung, welche die Verdichtung ist, wirklich nach Maaßgabe der Ursache wächst, wie das Mariottesche Gesetz besagt; so ist dies doch nicht von jener ihrer augenfälligen Erscheinung zu verstehen. Ferner wird dem Wasser zugeleitete Wärme bis zu einem gewissen Grad Erhitzung bewirken, über diesen Grad hinaus aber nur schnelle Verflüchtigung: bei dieser tritt aber wieder das selbe Verhältniß ein zwischen dem Grade der Ursach und dem der Wirkung: und so ist es in vielen Fällen. Solche Ursachen im engsten Sinn sind es nun, welche die Veränderungen aller leblosen, d. i. unorganischen Körper bewirken. Die Erkenntniß und Voraussetzung von Ursachen dieser Art leitet die Betrachtung aller der Veränderungen, welche der Gegenstand der Mechanik, Hydrodynamik, Physik und Chemie sind. Das ausschließliche Bestimmtwerden durch Ursachen dieser Art allein ist daher das eigentliche und wesentliche Merkmal eines unorganischen oder leblosen Körpers. Die zweite Art der Ursachen ist der Reiz, d. h. diejenige Ursach, welche erstlich selbst keine mit ihrer Einwirkung im Verhältniß stehende Gegenwirkung erleidet, und zweitens zwischen deren Intensität und der Intensität der Wirkung durchaus keine Gleichmäßigkeit Statt findet. Folglich kann hier nicht der Grad der Wirkung gemessen und vorher bestimmt werden nach dem Grade der Ursach: vielmehr kann eine kleine Vermehrung des Reizes eine sehr große der Wirkung verursachen, oder auch umgekehrt die vorige Wirkung ganz aufheben, ja, eine entgegengesetzte herbeiführen. Z. B. Pflanzen können bekanntlich durch Wärme oder auch der Erde beigemischten Kalk, zu einem außerordentlich schnellen Wachstum getrieben werden, indem jene Ursachen als Reize ihrer Lebenskraft wirken: wird jedoch hiebei der angemessene Grad des Reizes um ein Weniges überschritten; so wird der Erfolg, statt des erhöhten und beschleunigten Lebens, der Tod der Pflanze sein. So auch können wir durch Wein, oder Opium, unsere Geisteskräfte anspannen und beträchtlich erhöhen: wird aber das rechte Maaß des Reizes überschritten; so wird der Erfolg gerade der entgegengesetzte sein. — Diese Art der Ursachen, also Reize, sind es, welche alle Veränderungen der Organismen als solcher bestimmen. Alle Veränderungen und Entwickelungen der Pflanzen, und alle bloß organische und vegetative Veränderungen, oder Funktionen, thierischer Leiber gehen auf Reize vor sich. In dieser Art wirkt aus sie das Licht, die Wärme, die Luft, die Nahrung, jedes Pharmakon, jede Berührung, die Befruchtung u.s.w. — Während dabei das Leben der Thiere noch eine ganz andere Sphäre hat, von der ich gleich reden werde, so geht hingegen das ganze Leben der Pflanzen ausschließlich nach Reizen vor sich. Alle ihre Assimilation, Wachsthum, Hinstreben mit der Krone nach dem Lichte, mit den Wurzeln nach besserm Boden, ihre Befruchtung, Keimung u.s.w. ist Veränderung auf Reize. Bei einzelnen, wenigen Gattungen kommt hiezu noch eine eigenthümliche schnelle Bewegung, die ebenfalls nur auf Reize erfolgt, wegen welcher sie jedoch sensitive Pflanzen genannt werden. Bekanntlich sind dies hauptsächlich Mimosa pudica, Hedysarum gyrans und Dionaea muscipula. Das Bestimmtwerden ausschließlich und ohne Ausnahme durch Reize ist der Charakter der Pflanze. Mithin ist Pflanze jeder Körper, dessen eigenthümliche, seiner Natur angemessene Bewegungen und Veränderungen alle Mal und ausschließlich auf Reize erfolgen. Die dritte Art der bewegenden Ursachen ist die, welche den Charakter der Thiere bezeichnet: es ist die Motivation, d. h. die durch das Erkennen hindurchgehende Kausalität. Sie tritt in der Stufenfolge der Naturwesen auf dem Punkt ein, wo das komplicirtere und daher mannigfaltige Bedürfnisse habende Wesen, diese nicht mehr bloß auf Anlaß des Reizes befriedigen konnte, als welcher abgewartet werden muß; sondern es im Stande sein mußte, die Mittel der Befriedigung zu wählen, zu ergreifen, ja, aufzusuchen. Deshalb tritt bei Wesen dieser Art an die Stelle der bloßen Empfänglichkeit für Reize und der Bewegung auf solche, die Empfänglichkeit für Motive, d. h. ein Vorstellungsvermögen, ein Intellekt, in unzähligen Abstufungen der Vollkommenheit, materiell sich darstellend als Nervensystem und Gehirn, und eben damit das Bewußtseyn. Daß dem thierischen Leben ein Pflanzenleben zur Basis dient, welches als solches ebennur auf Reize vor sich geht, ist bekannt. Aber alle die Bewegungen, welche das Thier als Thier vollzieht, und welche eben deshalb von dem abhängen, was die Physiologie animalische Funktionen nennt, geschehen in Folge eines erkannten Objekts, also auf Motive. Demnach ist ein Thier jeder Körper, dessen eigenthümliche, seiner Natur angemessene, äußere Bewegungen und Veränderungen alle Mal auf Motive, d. h. auf gewisse, seinem hiebei schon vorausgesetzten Bewußtseyn gegenwärtige Vorstellungen erfolgen. So unendliche Abstufungen in der Reihe der Thiere die Fähigkeit zu Vorstellungen, und eben damit das Bewußtseyn, auch haben mag; so ist doch in jedem so viel davon vorhanden, daß das Motiv sich ihm darstellt und seine Bewegung veranlaßt: wobei dem nunmehr vorhandenen Selbstbewußtseyn die innere bewegende Kraft, deren einzelne Äußerung durch das Motiv hervorgerufen wird, als dasjenige sich kund giebt, was wir mit dem Worte Wille bezeichnen. Ob nun aber ein gegebener Körper sich auf Reize, oder auf Motive bewege, kann, auch für die Beobachtung von außen, welche hier unser Standpunkt ist, nie zweifelhaft bleiben: so augenscheinlich verschieden ist die Wirkungsart eines Reizes von der eines Motivs. Denn der Reiz wirkt stets durch unmittelbare Berührung, oder sogar Intusfusception, und wo auch diese nicht sichtbar ist, wie wo der Reiz die Luft, das Licht, die Wärme ist; so verräth sie sich doch dadurch, daß die Wirkung ein unverkennbares Verhältniß zur Dauer und Intensität des Reizes hat, wenn gleich dieses Verhältniß nicht bei allen Graden des Reizes das selbe bleibt. Wo hingegen ein Motiv die Bewegung verursacht, fallen alle solche Unterschiede ganz weg. Denn hier ist das eigentliche und nächste Medium der Einwirkung nicht die Atmosphäre, sondern ganz allein die Erkenntniß. Das als Motiv wirkende Objekt braucht durchaus nichts weiter, als wahrgenommen, erkannt zu sein; wobei es ganz einerlei ist, wie lange, ob nahe, oder ferne, und wie deutlich es in die Apperception gekommen. Alle diese Unterschiede verändern hier den Grad der Wirkung ganz und gar nicht: sobald es nur wahrgenommen worden, wirkt es auf ganz gleiche Weise; vorausgesetzt, daß es überhaupt ein Bestimmungsgrund des hier zu erregenden Willens sei. Denn auch die physikalischen und chemischen Ursachen, desgleichen die Reize, wirken ebenfalls nur, sofern der zu affizirende Körper für sie empfänglich ist. Ich sagte eben „des hier zu erregenden Willens": denn, wie schon erwähnt, als das, was das Wort Wille bezeichnet, giebt sich hier dem Wesen selbst, innerlich und unmittelbar, Dasjenige kund, was eigentlich dem Motiv die Kraft zu wirken ertheilt, die geheime Springfeder der durch dasselbe hervorgerufenen Bewegung. Bei ausschließlich auf Reize sich bewegenden Körpern (Pflanzen) nennen wir jene beharrende, innere Bedingung Lebenskraft; — bei den bloß auf Ursachen im engsten Sinne sich bewegenden Körpern nennen wir sie Naturkraft, oder Qualität: immer wird sie von den Erklärungen als das Unerklärliche vorausgesetzt; weil hier im Innern der Wesen kein Selbstbewußtseyn ist, dem sie unmittelbar zugänglich wäre. Ob nun aber diese in solchen erkenntniß- losen, sogar leblosen Wesen liegende innere Bedingung ihrer Reaktion auf äußere Ursachen, wenn man, von der Erscheinung überhaupt abgehend, nach demjenigen forschen wollte, was Kant das Ding an sich nennt, etwan ihrem Wesen nach identisch wäre mit dem, was wir in uns den Willen nennen, wie ein Philosoph neuerer Zeit uns wirklich hat andemonstriren wollen, — dies lasse ich dahin gestellt, ohne jedoch dem gerade widersprechen zu wollen^1 Es versteht sich, daß ich hier mich selbst meyne und nur des erforderlichen Inkognitos wegen nicht in der ersten Person reden durfte. . Hingegen darf ich nicht den Unterschied unerörtert lassen, welchen, bei der Motivation, das Auszeichnende des menschlichen Bewußtseyns vor dem thierischen herbeiführt. Dieses, welches eigentlich das Wort Vernunft bezeichnet, besteht darin, daß der Mensch nicht, wie das Thier, bloß der anschauenden Auffassung der Außenwelt fähig ist, sondern aus dieser Allgemein-Begriffe (notiones universales) zu abstrahiren vermag, welche er, um sie in seinem sinnlichen Bewußtseyn fixiren und festhalten zu können, mit Worten bezeichnet und nun damit zahllose Kombinationen vornimmt, ^1 Es versteht sich, daß ich hier mich selbst meyne und nur des erforderlichen Inkognitos wegen nicht in der ersten Person reden durfte. ⇑ die zwar immer, wie auch die Begriffe, aus denen sie bestehen, auf die anschaulich erkannte Welt sich beziehen, jedoch eigentlich Das ausmachen, was man denken nennt und wodurch die großen Vorzüge des Menschengeschlechts vor allen übrigen möglich werden, nämlich Sprache, Besonnenheit, Rückblick auf das Vergangene, Sorge für das Künftige, Absicht, Vorsatz, planmäßiges, gemeinsames Handeln Vieler, Staat, Wissenschaften, Künste u. s. f. Alles dieses beruht auf der einzigen Fähigkeit, nichtanschauliche, abstrakte, allgemeine Vorstellungen zu haben, die man Begriffe (d. i. Inbegriffe der Dinge) nennt, weil jeder derselben vieles Einzelne unter sich begreift. Dieser Fähigkeit entbehren die Thiere, selbst die allerklügsten: sie haben daher keine andere als anschauliche Vorstellungen, und erkennen demnach nur das gerade Gegenwärtige, leben allein in der Gegenwart. Die Motive, durch die ihr Wille bewegt wird, müssen daher alle Mal anschaulich und gegenwärtig sein. Hievon aber ist die Folge, daß ihnen äußerst wenig Wahl gestattet ist, nämlich bloß zwischen dem ihrem beschränkten Gesichtskreise und Auffassungsvermögen anschaulich Vorliegenden und also in Zeit und Raum Gegenwärtigen, wovon nun das als Motiv stärkere ihren Willen sofort bestimmt; wodurch die Kausalität des Motivs hier sehr augenfällig wird. Eine scheinbare Ausnahme macht die Dressur, welche die durch das Medium der Gewohnheit wirkende Furcht ist; eine gewissermaaßen wirkliche der Instinkt, sofern vermöge desselben, das Thier im Ganzen seiner Handlungsweise nicht eigentlich durch Motive, sondern durch innern Zug und Trieb in Bewegung gesetzt wird, welcher jedoch seine nähere Bestimmung, im Detail der einzelnen Handlungen und für jeden Augenblick, doch wieder durch Motive erhält, also in die Regel zurückkehrt. Die nähere Erörterung des Instinkts würde mich hier zu weit von meinem Thema abführen: ihr ist das 27. Kapitel des zweiten Bandes meines Hauptwerks gewidmet. — Der Mensch hingegen hat, vermöge seiner Fähigkeit nicht anschaulicher Vorstel- lungen, vermittelst deren er denkt und reflektirt, einen unendlich weiteren Gesichtskreis, welcher das Abwesende, das Vergangene, das Zukünftige begreift: dadurch hat er eine sehr viel größere Sphäre der Einwirkung von Motiven und folglich auch der Wahl, als das auf die enge Gegenwart beschränkte Thier. Nicht das seiner sinnlichen Anschauung Vorliegende, in Raum und Zeit Gegenwärtige, ist es, in der Regel, was sein Thun bestimmt: vielmehr sind es bloße Gedanken , die er in seinem Kopfe überall mit sich herumträgt und die ihn vom Eindruck der Gegenwart unabhängig machen. Wenn sie aber dies zu thun verfehlen, nennt man sein Handeln unvernünftig: dasselbe wird hingegen als vernünftig gelobt, wenn es ausschließlich nach wohl überlegten Gedanken und daher völlig unabhängig vom Eindruck der anschaulichen Gegenwart vollzogen wird. Eben dieses, daß der Mensch durch eine eigene Klasse von Vorstellungen (abstrakte Begriffe, Gedanken), welche das Thier nicht hat, aktuirt wird, ist selbst äußerlich sichtbar, indem es allem seinen Thun, sogar dem unbedeutendesten, ja, allen seinen Bewegungen und Schritten, den Charakter des Vorsätzlichen und Absichtlichen aufdrückt; wodurch sein Treiben von dem der Thiere so augenfällig verschieden ist, daß man geradezu sieht, wie gleichsam feine, unsichtbare Fäden (die aus bloßen Gedanken bestehenden Motive) seine Bewegungen lenken, während die der Thiere von den groben, sichtbaren Stricken des anschaulich Gegenwärtigen gezogen werden. Weiter aber geht der Unterschied nicht. Motiv wird der Gedanke, wie die Anschauung Motiv wird, sobald sie auf den vorliegenden Willen zu wirken vermag. Alle Motive aber sind Ursachen, und alle Kausalität führt Nothwendigkeit mit sich. Der Mensch kann nun, mittelst seines Denkvermögens, die Motive, deren Ein- fluß auf seinen Willen er spürt, in beliebiger Ordnung, abwechselnd und wiederholt sich vergegenwärtigen, um sie seinem Willen vorzuhalten, welches überlegen heißt: er ist deliberationsfähig und hat, vermöge dieser Fähigkeit, eine weit größere Wahl , als dem Thiere möglich ist. Hiedurch ist er allerdings relativ frei, nämlich frei vom unmittelbaren Zwange der anschaulich gegenwärtigen, auf seinen Willen als Motive wirkenden Objekte, welchem das Thier schlechthin unterworfen ist: er hingegen bestimmt sich unabhängig von den gegenwärtigen Objekten, nach Gedanken, welche seine Motive sind. Diese relative Freiheit ist es wohl auch im Grunde, was gebildete, aber nicht tief denkende Leute unter der Willensfreiheit, die der Mensch offenbar vor dem Thiere voraus habe, verstehen. Dieselbe ist jedoch eine bloß relative , nämlich in Beziehung auf das anschaulich Gegenwärtige, und eine bloß komparative, nämlich im Vergleich mit dem Thiere . Durch sie ist ganz allein die Art der Motivation geändert, hingegen die Nothwendigkeit der Wirkung der Motive im Mindesten nicht aufgehoben, oder auch nur verringert. Das abstrakte, in einem bloßen Gedanken bestehende Motiv ist eine äußere, den Willen bestimmende Ursache, so gut wie das anschauliche, in einem realen, gegenwärtigen Objekt bestehende: folglich ist es eine Ursache wie jede andere, ist sogar auch, wie die andern, stets ein Reales, Materielles, sofern es allemal zuletzt doch auf einem irgend wann und irgend wo erhaltenen Eindruck von außen beruht. Es hat bloß die Länge des Leitungsdrahtes voraus; wodurch ich bezeichnen will, daß es nicht, wie die bloß anschaulichen Motive, an eine gewisse Nähe im Raum und in der Zeit gebunden ist; sondern durch die größte Entfernung, durch die längste Zeit und durch eine Vermittlung von Begriffen und Gedanken in langer Verkettung hindurch wirken kann: welches eine Folge der Beschaffenheit und eminenten Empfänglichkeit des Organs ist, das zunächst seine Einwirkung erfährt und aufnimmt, nämlich des menschlichen Gehirns, oder der Vernunft. Dies hebt jedoch seine Ursächlichkeit und die mit ihr gesetzte Nothwendigkeit im Mindesten nicht auf. Daher kann nur eine sehr oberflächliche Ansicht jene relative und komparative Freiheit für eine absolute, ein liberum arbitrium indifferentiae, halten. Die durch sie entstehende Deliberationsfähigkeit giebt in der That nichts Anderes, als den sehr oft peinlichen Konflikt der Motive , dem die Unentschlossenheit vorsitzt, und dessen Kampfplatz nun das ganze Gemüth und Bewußtseyn des Menschen ist. Er läßt nämlich die Motive wiederholt ihre Kraft gegen einander an seinem Willen versuchen, wodurch dieser in die selbe Lage geräth, in der ein Körper ist, auf welchen verschiedene Kräfte in entgegengesetzten Richtungen wirken, — bis zuletzt das entschieden stärkste Motiv die andern aus dem Felde schlägt und den Willen bestimmt; welcher Ausgang Entschluß heißt und als Resultat des Kampfes mit völliger Nothwendigkeit eintritt. Überblicken wir jetzt nochmals die ganze Reihe der Formen der Kausalität, in der sich Ursachen im engsten Sinne des Wortes, sodann Reize und endlich Motive, welche wieder in anschauliche und abstrakte zerfallen, deutlich von einander sondern; so werden wir bemerken, daß, indem wir die Reihe der Wesen in dieser Hinsicht von unten nach oben durchgehen, die Ursache und ihre Wirkung mehr und mehr aus einander treten, sich deutlicher sondern und heterogener werden, wobei die Ursache immer weniger materiell und palpabel wird, daher denn immer weniger in der Ursache und immer mehr in der Wirkung zu liegen scheint; durch welches Alles zusammengenommen der Zusammenhang zwischen Ursach und Wirkung an unmittelbarer Faßlichkeit und Verständlichkeit verliert. Nämlich alles eben Angeführte ist am wenigsten der Fall bei der mechanischen Kausalität, welche deshalb die faßlichste von allen ist: hieraus entsprang im vorigen Jahrhundert das falsche, in Frankreich sich noch erhaltende, neuerlich aber auch in Deutschland aufgekommene Bestreben, jede andere auf diese zurückzuführen und alle physikalischen und chemischen Vorgänge aus mechanischen Ursachen zu erklären, aus jenen aber wieder den Lebensproceß. Der stoßende Körper bewegt den ruhenden, und so viel Bewegung er mittheilt, so viel verliert er: hier sehen wir gleichsam die Ursache in die Wirkung hinüberwandern: beide sind ganz homogen, genau kommensurabel und dabei palpabel. Und so ist es eigentlich bei allen rein mechanischen Wirkungen. Aber man wird finden, daß dies Alles weniger und weniger der Fall ist, hingegen das oben Gesagte eintritt, je höher wir hinaufsteigen, wenn wir auf jeder Stufe das Verhältniß zwischen Ursach und Wirkung betrachten, z. B. zwischen der Wärme als Ursach und ihren verschiedenen Wirkungen, wie Ausdehnung, Glühen, Schmelzen, Verflüchtigung, Verbrennung, Thermo-Elektricität u. s. w., oder zwischen Verdunstung als Ursach und Erkältung, oder Krystallisation, als Wirkungen; oder zwischen Reibung des Glases als Ursach und freier Elektricität, mit ihren seltsamen Phänomenen, als Wirkung; oder zwischen langsamer Oxydation der Platten als Ursach und Galvanismus, mit allen seinen elektrischen, chemischen magnetischen Phänomenen als Wirkung. Also Ursach und Wirkung sondern sich mehr und mehr, werden heterogener , ihr Zusammenhang unverständlicher, die Wirkung scheint mehr zu enthalten, als die Ursach ihr liefern konnte; da diese sich immer weniger materiell und palpabel zeigt. Dies Alles tritt noch deutlicher ein, wenn wir zu den organischen Körpern übergehen, wo nun bloße Reize, theils äußere, wie die des Lichts, der Wärme, der Luft, des Erdbodens, der Nahrung, theils innere, der Säfte und Theile auf einander, die Ursachen sind, und als ihre Wirkung das Leben, in seiner unendlichen Komplikation und in zahllosen Verschiedenheiten der Art, in den mannigfaltigen Gestalten der Pflanzen- und Thier-Welt sich darstellt^1 Die ausführlichere Darlegung dieses Auseinandertretens der Ursach und Wirkung findet man im „Willen der Natur\", Rubrik „Astronomie\", S. 80 fg. der zweiten (S. 87 fg. der dritten) Auflage. . Hat nun aber bei dieser mehr und mehr eintretenden Heterogeneität, Inkommensurabilität und Unverständlichkeit des Verhältnisses zwischen Ursach und Wirkung etwan auch die durch dasselbe gesetzte Nothwendigkeit abgenommen? ^1 Die ausführlichere Darlegung dieses Auseinandertretens der Ursach und Wirkung findet man im „Willen der Natur", Rubrik „Astronomie", S. 80 fg. der zweiten (S. 87 fg. der dritten) Auflage. ⇑ Keineswegs, nicht im Mindesten. So nothwendig, wie die rollende Kugel die ruhende in Bewegung setzt, muß auch die Leidener Flasche, bei Berührung mit der andern Hand, sich entladen, — muß auch Arsenik jedes Lebende tödten, — muß auch das Saamenkorn, welches, trocken aufbewahrt, Jahrtausende hindurch keine Veränderung zeigte, sobald es in den gehörigen Boden gebracht, dem Einflusse der Luft, des Lichtes, der Wärme, der Feuchtigkeit ausgesetzt ist, keimen, wachsen und sich zur Pflanze entwickeln. Die Ursach ist complicirter, die Wirkung heterogener, aber die Nothwendigkeit, mit der sie eintritt, nicht um ein Haarbreit geringer. Bei dem Leben der Pflanze und dem vegetativen Leben des Thieres ist der Reiz von der durch ihn hervorgerufenen organischen Funktion zwar in jeder Hinsicht höchst verschieden, und beide sind deutlich gesondert: jedoch sind sie noch nicht eigentlich getrennt; sondern zwischen ihnen muß ein Kontakt, sei er auch noch so fein und unsichtbar, vorhanden sein. Die gänzliche Trennung tritt erst ein beim animalen Leben, dessen Aktionen durch Motive hervorgerufen werden, wodurch nun die Ursache, welche bisher mit der Wirkung noch immer materiell zusammen hing, ganz von ihr losgerissen dasteht, ganz anderer Natur, ein zunächst Immaterielles, eine bloße Vorstellung ist. Im Motiv also, welches die Bewegung des Thieres hervorruft, hat jene Heterogeneität zwischen Ursach und Wirkung, die Sonderung beider von einander, die Inkommensurabilität derselben, die Immaterialität der Ursache und daher ihr scheinbares Zuwenigenthalten gegen die Wirkung, den höchsten Grad erreicht, und die Unbegreiflichkeit des Verhältnisses zwischen beiden würde sich zu einer absoluten steigern, wenn wir, wie die übrigen Kausalverhältnisse, auch dieses bloß von Außen kennten: so aber ergänzt hier eine Erkenntnis ganz anderer Art, eine innere, die äußere, und der Vorgang, welcher als Wirkung nach eingetretener Ursache hier Statt hat, ist uns intim bekannt: wir bezeichnen ihn durch einen terminus ad hoc: Willen. Daß jedoch auch hier nicht, so wenig wie oben beim Reiz, das Kausalverhältniß an Nothwendigkeit eingebüßt habe, sprechen wir aus, sobald wir es als Kausalverhältniß erkennen und durch diese unserm Verstande wesentliche Form denken. Zudem finden wir die Motivation den zwei andern oben erörterten Gestaltungen des Kausalverhältnisses völlig analog und nur als die höchste Stufe, zu der diese sich in ganz allmäligem Uebergange erheben. Auf den niedrigsten Stufen des thierischen Lebens ist das Motiv noch dem Reize nahe verwandt: Zoophyten, Radiarien überhaupt, Atephalen unter den Mollusken, haben nur eine schwache Dämmerung von Bewußtseyn, gerade so viel, als nöthig ist, ihre Nahrung oder Beute wahrzunehmen und sie an sich zu reißen, wenn sie sich darbietet, und allenfalls ihren Ort gegen einen günstigeren zu vertauschen: daher liegt, auf diesen niedrigen Stufen, die Wirkung des Motivs uns noch ganz so deutlich, unmittelbar, entschieden und unzweideutig vor, wie die des Reizes. Kleine Insekten werden vom Scheine des Lichtes bis in die Flamme gezogen: Fliegen setzen sich der Eidechse, die eben vor ihren Augen ihres Gleichen verschlang, zutraulich auf den Kopf. Wer wird hier von Freiheit träumen? Bei den oberen, intelligenteren Thieren wird die Wirkung der Motive immer mittelbarer: nämlich das Motiv trennt sich deutlicher von der Handlung, die es hervorruft; so daß man sogar diese Verschiedenheit der Entfernung zwischen Motiv und Handlung zum Maaßstabe der Intelligenz der Thiere gebrauchen könnte. Beim Menschen wird sie unermeßlich. Hingegen auch bei den klügsten Thieren muß die Vorstellung, die zum Motiv ihres Thuns wird, noch immer eine anschauliche sein: selbst wo schon eine Wahl möglich wird, kann sie nur zwischen dem anschaulich Gegenwärtigen Statt haben. Der Hund steht zaudernd zwischen dem Ruf seines Herrn und dem Anblick einer Hündin: das stärkere Motiv wird seine Bewegung bestimmen; dann aber erfolgt sie so nothwendig, wie eine mechanische Wirkung. Sehen wir doch auch bei dieser einen aus dem Gleichgewicht gebrachten Körper eine Zeit lang abwechselnd nach der einen und der andern Seite wanken, bis sich entscheidet, auf welcher sein Schwerpunkt liegt, und er nach dieser hinstürzt. So lange nun die Motivation auf anschauliche Vorstellungen beschränkt ist, wird ihre Verwandtschaft mit dem Reiz und der Ursach überhaupt, noch dadurch augenfällig, daß das Motiv, als wirkende Ursache, ein Reales, ein Gegenwärtiges sein, ja durch Licht, Schall, Geruch, wenn auch sehr mittelbar, doch noch physisch auf die Sinne wirken muß. Zudem liegt hier dem Beobachter die Ursache so offen vor, wie die Wirkung: er sieht das Motiv eintreten und das Thun des Thieres unausbleiblich erfolgen, so lange kein anderes eben so augenfälliges Motiv, oder Dressur entgegenwirkt. Den Zusammenhang zwischen beiden zu bezweifeln ist unmöglich. Daher wird es auch Niemanden einfallen, den Thieren ein liberum arbitriuin indifferentiae, d. h. ein durch keine Ursache bestimmtes Thun beizulegen. Wo nun aber das Bewußtseyn ein vernünftiges, also ein der nichtanschauenden Erkenntniß, d. h. der Begriffe und Gedanken fähiges ist, da werden die Motive von der Gegenwart und realen Umgebung ganz unabhängig und bleiben dadurch dem Zuschauer verborgen. Denn sie sind jetzt bloße Gedanken, die der Mensch in seinem Kopfe herumträgt, deren Entstehung jedoch außerhalb desselben, oft gar weit entfernt liegt, nämlich bald in der eigenen Erfahrung vergangener Jahre, bald in fremder Überlieferung durch Worte und Schrift, selbst aus den fernsten Zeiten, jedoch so, daß ihr Ursprung immer real und objektiv ist, wiewohl, durch die oft schwierige Kombination komplicirter äußerer Umstände, viele Irrthümer und mittelst der Überlieferung viele Täuschungen, folglich auch viele Thorheiten unter den Motiven sind. Hiezu kommt noch, daß der Mensch die Motive seines Thuns oft vor allen Andern verbirgt, bisweilen sogar vor sich selbst, nämlich da, wo er sich scheut zu erkennen, was eigentlich es ist, das ihn bewegt, Dieses oder Jenes zu thun. Inzwischen sieht man sein Thun erfolgen und sucht durch Konjekturen die Motive zu ergründen, welche man dabei so fest und zuversichtlich voraussetzt, wie die Ursache jeder Bewegung lebloser Körper, die man hätte erfolgen sehen; in der Ueberzeugung, daß das Eine wie das Andere ohne Ursache unmöglich ist. Dem entsprechend bringt man auch umgekehrt, bei seinen eigenen Plänen und Unternehmungen, die Wirkung der Motive auf die Menschen mit einer Sicherheit in Anschlag, welche der, womit man die mechanischen Wirkungen mechanischer Vorrichtungen berechnet, völlig gleich kommen würde, wenn man die individuellen Charaktere der hier zu behandelnden Menschen so genau kennte, wie dort die Länge und Dicke der Balken, die Durchmesser der Räder, das Gewicht der Lasten u. s. w. Diese Voraussetzung befolgt Jeder, so lange er nach Außen blickt, es mit Andern zu thun hat und praktische Zwecke verfolgt: denn zu diesen ist der menschliche Verstand bestimmt. Aber versucht er, die Sache theoretisch und philosophisch zu beurteilen, als wozu die menschliche Intelligenz eigentlich nicht bestimmt ist, und macht nun sich selbst zum Gegenstande der Beurtheilung; so läßt er sich durch die eben geschilderte immaterielle Beschaffenheit abstrakter, aus bloßen Gedanken bestehender Motive, weil sie an keine Gegenwart und Umgebung gebunden sind und ihre Hindernisse selbst wieder nur in bloßen Gedanken, als Gegenmotiven, finden, so weit irre leiten, daß er ihr Daseyn, oder doch die Nothwendigkeit ihres Wirkens bezweifelt und meint, was gethan wird, könne ebenso gut auch unterbleiben, der Wille entscheide sich von selbst, ohne Ursache, und jeder seiner Akte wäre ein erster Anfang von einer unabsehbaren Reihe dadurch herbeigeführter Veränderungen. Diesen Irrthum unterstützt nun ganz besonders die falsche Auslegung jener im ersten Abschnitt hinlänglich geprüften Aussage des Selbstbewußtseyns „ich kann thun was ich will"; zumal wenn diese, wie zu jeder Zeit, auch bei Einwirkung mehrerer, vor der Hand bloß sollicitirender und einander ausschließender Motive anklingt. Dieses zusammengenommen also ist die Quelle der natürlichen Täuschung, aus welcher der Irrthum erwächst, in unserm Selbstbewußtseyn liege die Gewißheit einer Freiheit unsers Willens, in dem Sinne, daß er, allen Gesetzen des reinen Verstandes und der Natur zuwider, ein ohne zureichende Gründe sich Entscheidendes sei, dessen Entschlüsse, unter gegebenen Umständen, bei einem und demselben Menschen, so oder auch entgegengesetzt ausfallen könnten. Um die Entstehung dieses für unser Thema so wichtigen Irrthums speciell und aufs deutlichste zu erläutern und dadurch die im vorigen Abschnitt angestellte Untersuchung des Selbstbewußtseyns zu ergänzen, wollen wir uns einen Menschen denken, der, etwan auf der Gasse stehend, zu sich sagte: „Es ist 6 Uhr Abends, die Tagesarbeit ist beendigt. Ich kann jetzt einen Spaziergang machen; oder ich kann in den Klub gehen; ich kann auch auf den Thurm steigen, die Sonne untergehn zu sehn; ich kann auch ins Theater gehn; ich kann auch diesen, oder aber jenen Freund besuchen; ja, ich kann auch zum Thor hinauslaufen, in die weite Welt, und nie wiederkommen. Das Alles steht allein bei mir, ich habe völlige Freiheit dazu; thue jedoch davon jetzt nichts, sondern gehe ebenso freiwillig nach Hause, zu meiner Frau." Das ist gerade so, als wenn das Wasser spräche: »Ich kann hohe Wellen schlagen (ja! nämlich im Meer und Sturm), ich kann reißend hinabeilen (ja! nämlich im Bette des Stroms), ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (ja! nämlich im Wasserfall), ich kann frei als Strahl in die Luft steigen (ja! nämlich im Springbrunnen), ich kann endlich gar verkochen und verschwinden (ja! bei 80 Grad Wärme); thue jedoch von dem Allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig, ruhig und klar im spiegelnden Teiche." Wie das Wasser jenes Alles nur dann kann, wann die bestimmenden Ursachen zum Einen oder zum Andern eintreten; ebenso kann jener Mensch was er zu können wähnt, nicht anders, als unter der selben Bedingung. Bis die Ursachen eintreten, ist es ihm unmöglich: dann aber muß er es, so gut wie das Wasser, sobald es in die entsprechenden Umstände versetzt ist. Sein Irrthum und überhaupt die Täuschung, welche aus dem falsch ausgelegten Selbstbewußtseyn hier entsteht, daß er jenes Alles jetzt gleich könne, beruht, genau betrachtet, darauf, daß seiner Phantasie nur ein Bild zur Zeit gegenwärtig sein kann und für den Augenblick Alles Andere ausschließt. Stellt er nun das Motiv zu einer jener als möglich proponirten Handlungen sich vor; so fühlt er sogleich dessen Wirkung auf seinen Willen, der dadurch sollicitirt wird: dies heißt, in der Kunstsprache, eine Velleitas. Nun meint er aber, er könne diese auch zu einer Voluntas erheben, d. h. die proponirte Handlung ausführen: allein dies ist Täuschung. Denn alsbald würde die Besonnenheit eintreten und die nach andern Seiten ziehenden, oder die entgegenstehenden Motive ihm in Erinnerung bringen: worauf er sehen würde, daß es nicht zur That kommt. Bei einem solchen successiven Vorstellen verschiedener einander ausschließender Motive, unter steter Begleitung des innern „ich kann thun was ich will", dreht sich gleichsam der Wille, wie eine Wetterfahne auf wohlgeschmierter Angel und bei unstätem Winde, sofort nach jedem Motiv hin, welches die Einbildungskraft ihm vorhält, successiv nach allen als möglich vorliegenden Motiven, und bei jedem denkt der Mensch, er könne es wollen und also die Fahne auf diesem Punkte fixieren; welches bloße Täuschung ist. Denn sein „ich kann dies wollen" ist in Wahrheit hypothetisch und führt den Beisatz mit sich „wenn ich nicht lieber jenes Andere wollte": der hebt aber jenes Wollenkönnen auf. — Kehren wir zu jenem aufgestellten, um 6 Uhr deliberirenden Menschen zurück und denken uns, er bemerke jetzt, daß ich hinter ihm stehe, über ihn philosophire und seine Freiheit zu allen jenen ihm möglichen Handlungen abstreite; so könnte es leicht geschehen, daß er, um mich zu widerlegen, eine davon ausführte: dann wäre aber gerade mein Leugnen und dessen Wirkung auf seinen Widerspruchsgeist das ihn dazu nöthigende Motiv gewesen. Jedoch würde dasselbe ihn nur zu einer oder der andern von den leichteren unter den oben angeführten Handlungen bewegen können, z. B. ins Theater zu gehen; aber keineswegs zur zuletzt genannten, nämlich in die weite Welt zu laufen: dazu wäre dies Motiv viel zu schwach. — Ebenso irrig meint Mancher, indem er ein geladenes Pistol in der Hand hält, er könne sich damit erschießen. Dazu ist das Wenigste jenes mechanische Ausführungsmittel, die Hauptsache aber ein überaus starkes und daher seltenes Motiv, welches die ungeheuere Kraft hat, die nöthig ist, um die Lust zum Leben, oder richtiger die Furcht vor dem Tode zu überwiegen: erst nachdem ein solches eingetreten, kann er sich wirklich erschießen, und muß es; es sei denn, daß ein noch stärkeres Gegenmotiv, wenn überhaupt ein solches möglich ist, die That verhindere. Ich kann thun was ich will: ich kann, wenn ich will, Alles was ich habe den Armen geben und dadurch selbst einer werden, — wenn ich will! — Aber ich vermag nicht, es zu wollen ; weil die entgegenstehenden Motive viel zu viel Gewalt über mich haben, als daß ich es könnte. Hingegen wenn ich einen andern Charakter hätte, und zwar in dem Maaße, daß ich ein Heiliger wäre, dann würde ich es wollen können; dann aber würde ich auch nicht umhin können, es zu wollen, würde es also thun müssen. — Dies Alles besteht vollkommen wohl mit dem„ich kann thun was ich will" des Selbstbewußtseyns, worin noch heut zu Tage einige gedankenlose Philosophaster die Freiheit des Willens zu sehen vermeynen, und sie demnach als eine gegebene Thatsache des Bewußtseyns geltend machen. Unter diesen zeichnet sich aus Hr. Cousin und verdient deshalb hier eine mention honorable, da er in seinem Cours d ́histoire de la philosophie, professé en 1819, 20, et publié par Vacherot, 1841, lehrt, daß die Freiheit des Willens die zuverlässigste Thatsache des Bewußtseyns sei (Vol. 1, p. 19, 20), und Kanten tadelt, daß er dieselbe bloß aus dem Moralgesetz bewiesen und als ein Postulat aufgestellt habe, da sie doch eine Thatsache sei: „pouquoi démontrer ce qu'il suffit de constater?" (p. 50) „la liberté est un fait, et non une croyance" (ibid.). — Inzwischen fehlt es auch in Deutschland nicht an Ignoranten, die Alles, was seit zwei Jahrhunderten große Denker darüber gesagt haben, in den Wind schlagen und auf die im vorigen Abschnitt analysirte, von ihnen, wie vom großen Haufen, falsch aufgefaßte Thatsache des Selbstbewußtseins pochend, die Freiheit des Willens als tatsächlich gegeben präkonisiren. Doch thue ich ihnen vielleicht Unrecht; indem es sein kann, daß sie nicht so unwissend sind, wie sie scheinen, sondern bloß hungrig, und daher, für ein sehr trockenes Stück Brod, Alles lehren, was einem hohen Ministerio wohlgefällig sein könnte. Es ist durchaus weder Metapher noch Hyperbel, sondern ganz trockene und buchstäbliche Wahrheit, daß, so wenig eine Kugel auf dem Billiard in Bewegung gerathen kann, ehe sie einen Stoß erhält, ebenso wenig ein Mensch von seinem Stuhle aufstehen kann, ehe ein Motiv ihn weg zieht oder treibt: dann aber ist sein Aufstehen so nothwendig und unausbleiblich, wie das Rollen der Kugel nach dem Stoß. Und zu erwarten, daß Einer etwas thue, wozu ihn durchaus kein Interesse auffordert, ist wie erwarten, daß ein Stück Holz sich zu mir bewege, ohne einen Strick, der es zöge. Wer etwan dergleichen behauptend, in einer Gesellschaft hartnäckigen Widerspruch erführe, würde am kürzesten aus der Sache kommen, wenn er, durch einen Dritten, plötzlich mit lauter und ernster Stimme rufen ließe: „das Gebälk stürzt ein!" wodurch die Widersacher zu der Einsicht gelangen würden, daß ein Motiv ebenso mächtig ist, die Leute zum Hause hinaus zu werfen, wie die handfesteste mechanische Ursache. Denn der Mensch ist, wie alle Gegenstände der Erfahrung, eine Erscheinung in Zeit und Raum, und da das Gesetz der Kausalität für alle diese a priori und folglich ausnahmslos gilt, muß auch er ihm unterworfen sein. So sagt es der reine Verstand a priori, so bestätigt es die durch die ganze Natur geführte Analogie, und so bezeugt es die Erfahrung jeden Augenblick, wenn man sich nicht täuschen läßt durch den Schein, der dadurch herbeigeführt wird, daß, indem die Naturwesen, sich höher und höher steigernd, komplicirter werden, und ihre Empfänglichkeit, von der bloß mechanischen, zur chemischen, elektrischen, reizbaren, sensibeln, intellektuellen und endlich rationellen sich erhebt und verfeinert, auch die Natur der ein wirkenden Ursachen hiemit gleichen Schritt halten und auf jeder Stufe den Wesen, auf welche gewirkt werden soll, entsprechend ausfallen muß: daher dann auch die Ursachen immer weniger palpabel und materiell sich darstellen; so daß sie zuletzt nicht mehr dem Auge sichtbar, wohl aber dem Ver- stande erreichbar sind, der sie, im einzelnen Fall, mit unerschütterlicher Zuversicht voraussetzt und bei gehörigem Forschen auch entdeckt. Denn hier sind die wirkenden Ursachen gesteigert zu bloßen Gedanken, die mit andern Gedanken kämpfen, bis der mächtigste von ihnen den Ausschlag giebt und den Menschen in Bewegung setzt; welches Alles in eben solcher Strenge des Kausalzusammenhanges vor sich geht, wie wenn rein mechanische Ursachen, in komplicirter Verbindung, einander entgegen wirken und der berechnete Erfolg unfehlbar eintritt. Den Augenschein der Ursachlosigkeit, wegen Unsicht- barkeit der Ursache, haben die im Glase nach allen Richtungen umherhüpfenden elektrisirten Korkkügelchen ebenso sehr wie die Bewegungen des Menschen: das Urtheil aber kommt nicht dem Auge zu, sondern dem Verstande. Unter Voraussetzung der Willensfreiheit wäre jede menschliche Handlung ein unerklärliches Wunder, — eine Wirkung ohne Ursache. Und wenn man den Versuch wagt, ein solches Iiberum arbitrium indifferentiae sich vorstellig zu machen; so wird man bald inne werden, daß dabei recht eigentlich der Verstand stille steht; er hat keine Form so etwas zu denken. Denn der Satz vom Grunde, das Princip durchgängiger Bestimmung und Abhängigkeit der Erscheinungen von einander, ist die allgemeinste Form unsers Erkenntnißvermögens, die, nach Verschiedenheit der Objekte desselben, auch selbst ver- schiedene Gestalten annimmt. Hier aber sollen wir etwas denken, das bestimmt, ohne bestimmt zu werden, das von nichts abhängt, aber von ihm das Andere, das ohne Nöthigung, folglich ohne Grund, jetzt A wirkt, während es ebenso wohl B, oder C, oder D wirken könnte, und zwar ganz und gar könnte, unter den selben Umständen könnte, d. h. ohne daß jetzt in A etwas läge, was ihm einen Vorzug (denn der wäre Motivation, also Kausalität) vor B, C, D ertheilte. Wir werden hier auf den gleich Anfangs aufgestellten Begriff des absolut Zufälligen zurückgeführt. Ich wiederhole es: dabei steht ganz eigentlich der Verstand stille, wenn man nur vermag ihn daran zu bringen. Jetzt aber wollen wir uns auch daran erinnern, was überhaupt eine Ursache ist: die vorhergehende Veränderung, welche die nachfolgende nothwendig macht. Keineswegs bringt irgend eine Ursache in der Welt ihre Wirkung ganz und gar hervor, oder macht sie aus nichts. Vielmehr ist alle Mal etwas da, worauf sie wirkt, und sie veranlaßt bloß zu dieser Zeit, an diesem Ort und an diesem bestimmten Wesen eine Veränderung, welche stets der Natur des Wesens gemäß ist, zu der also die Kraft bereits in diesem Wesen liegen mußte. Mithin entspringt jede Wirkung aus zwei Faktoren, einem innern und einem äußern: nämlich aus der ursprünglichen Kraft dessen, worauf gewirkt wird, und der bestimmenden Ursache, welche jene nöthigt sich jetzt hier zu äußern. Ursprüng- liche Kraft setzt jede Kausalität und jede Erklärung aus ihr voraus: daher eben letztere nie Alles erklärt, sondern stets ein Unerklärliches übrig läßt. Dies sehen wir in der gesammten Physik und Chemie: überall werden bei ihren Erklärungen die Naturkräfte vorausgesetzt, die sich in den Phänomenen äußern, und in der Zurückführung, auf welche die ganze Erklärung besteht. Eine Naturkraft selbst ist keiner Erklärung unterworfen, sondern ist das Princip aller Erklärung. Ebenso ist sie selbst auch keiner Kausalität unterworfen; sondern sie ist gerade Das, was jeder Ursache die Kausalität, d. h. die Fähig- keit zu wirken, verleiht. Sie selbst ist die gemeinsame Unterlage aller Wirkungen dieser Art und in jeder derselben gegenwärtig. So werden die Phänomene des Magnetismus auf eine ursprüngliche Kraft, genannt Elektricität, zurückgeführt. Hiebei steht die Erklärung stille: sie giebt bloß die Bedingungen an, unter denen eine solche Kraft sich äußert, d. h. die Ursachen, welche ihre Wirksamkeit hervorrufen. Die Erklärungen der himmlischen Mechanik setzen die Gravitation als Kraft voraus, vermöge welcher hier die einzelnen Ursachen, die den Gang der Weltkörper bestimmen, wirken. Die Erklärungen der Chemie setzen die geheimen Kräfte voraus, welche sich als Wahlverwandtschaften, nach gewissen stöchiometrischen Verhältnissen, äußern, und auf denen alle die Wirkungen zuletzt beruhen, welche durch Ursachen, die man angiebt, hervorgerufen, pünktlich eintreten. Ebenso setzen alle Erklärungen der Physiologie die Lebenskraft voraus, als welche auf specifische innere und äußere Reize bestimmt reagirt. Und so ist es durchgängig überall. Selbst die Ursachen, mit denen die so faßliche Mechanik sich beschäftigt, wie Stoß und Druck, haben die Undurchdringlichkeit, Kohäsion, Starrheit, Härte, Trägheit, Schwere, Elasticität zur Voraussetzung, welche nicht weniger, als die eben erwähnten, unergründliche Naturkräfte sind. Also überall bestimmen die Ursachen nichts weiter, als das Wann und Wo der Aeußerungen ursprünglicher, unerklärlicher Kräfte, unter deren Voraussetzung allein sie Ursachen sind, d. h. gewisse Wirkungen nothwendig herbeiführen. Wie nun dies bei den Ursachen im engsten Sinne und bei den Reizen der Fall ist, so nicht minder bei den Motiven ; da ja die Motivation nicht im Wesentlichen von der Kausalität verschieden, sondern nur eine Art derselben, nämlich die durch das Medium der Erkenntniß hindurchgehende Kausalität ist. Auch hier also ruft die Ursache nur die Aeußerung einer nicht weiter auf Ursachen zurückzuführenden, folglich nicht weiter zu erklärenden Kraft hervor, welche Kraft, die hier Wille heißt. uns aber nicht bloß von außen, wie die andern Naturkräfte, sondern, vermöge des Selbstbewußtseyns, auch von innen und unmittelbar bekannt ist. Nur unter der Voraussetzung, daß ein solcher Wille vorhanden und, im einzelnen Fall, daß er von bestimmter Beschaffenheit sei, wirken die auf ihn gerichteten Ursachen, hier Motive genannt. Diese speciell und individuell bestimmte Beschaffenheit des Willens, vermöge deren seine Reaktion auf die selben Motive in jedem Menschen eine andere ist, macht Das aus, was man dessen Charakter nennt und zwar, weil er nicht a priori, sondern nur durch Erfahrung bekannt wird, empirischen Charakter. Durch ihn ist zunächst die Wirkungsart der verschiedenartigen Motive auf den gegebenen Menschen bestimmt. Denn er liegt allen Wirkungen, welche die Motive hervorrufen, so zum Grunde, wie die allgemeinen Naturkräfte den durch Ursachen im engsten Sinn hervorgerufenen Wirkungen, und die Lebenskraft den Wirkungen der Reize. Und, wie die Naturkräfte, so ist auch er ursprünglich, unveränderlich, unerklärlich. Bei den Thieren ist er in jeder Species, beim Menschen in jedem Individuo ein anderer. Nur in den allerobersten, klügsten Thieren zeigt sich schon ein merklicher Individualcharakter, wiewohl mit durchaus überwiegendem Charakter der Species. Der Charakter des Menschen ist: 1) individuell: er ist in Jedem ein anderer. Zwar liegt der Charakter der Species allen zum Grunde, daher die Haupteigenschaften sich in jedem wieder finden. Allein hier ist ein so bedeutendes Mehr und Minder des Grades, eine solche Verschiedenheit der Kombination und Modifikation der Eigenschaften durch einander, daß man annehmen kann, der moralische Unterschied der Charaktere komme dem der intellektuellen Fähigkeiten gleich, was viel sagen will, und beide seien ohne Vergleich größer als die körperliche Verschiedenheit zwischen Riese und Zwerg, Apollo und Thersytes. Daher ist die Wirkung des selben Motivs auf verschiedene Menschen eine ganz verschiedene; wie das Sonnen- licht Wachs weiß, aber Chlorsilber schwarz färbt, die Wärme Wachs erweicht, aber Thon verhärtet. Deshalb kann man aus der Kenntniß des Motivs allein nicht die That vorhersagen, sondern muß hiezu auch den Charakter genau kennen. 2) Der Charakter des Menschen ist empirisch. Durch Erfahrung allein lernt man ihn kennen, nicht bloß an Andern, sondern auch an sich selbst. Daher wird man oft, wie über Andere, so auch über sich selbst enttäuscht, wenn man entdeckt, daß man diese oder jene Eigenschaft, z. B. Gerechtigkeit, Uneigennützigkeit, Muth, nicht in dem Grade besitzt, als man gütigst voraussetzte. Daher auch bleibt, bei einer vorliegenden schweren Wahl, unser eigener Entschluß, gleich einem fremden, uns selber so lange ein Geheimniß, bis jene entschieden ist: bald glauben wir, daß sie auf diese, bald daß sie auf jene Seite fallen werde, je nachdem dieses oder jenes Motiv dem Willen von der Erkenntniß näher vorgehalten wird und seine Kraft an ihm versucht, wobei denn jenes, „ich kann thun was ich will", den Schein der Willensfreiheit hervorbringt. Endlich macht das stärkere Motiv seine Gewalt über den Willen geltend, und die Wahl fällt oft anders aus, als wir Anfangs vermutheten. Daher endlich kann Keiner wissen, wie ein Anderer und auch nicht, wie er selbst in irgend einer bestimmten Lage handeln wird, ehe er darin gewesen: nur nach bestandener Probe ist er des Andern und erst dann auch seiner selbst gewiß. Dann aber ist er es: erprobte Freunde, geprüfte Diener sind sicher. Ueberhaupt behandeln wir einen uns genau bekannten Menschen, wie jede andere Sache, deren Eigenschaften wir bereits kennen gelernt haben, und sehen mit Zuversicht vorher, was von ihm zu erwarten steht und was nicht. Wer ein Mal etwas gethan, wird es, vorkommenden Falls, wieder thun, im Guten wie im Bösen. Darum wird, wer großer, außerordentlicher Hilfe bedarf, sich an Den wenden, der Proben des Edelmuthes abgelegt hat: und wer einen Mörder dingen will, wird sich unter den Leuten umsehen, die schon die Hände im Blute gehabt haben. Nach Herodot's Erzählung ( V I I . 164) war Gelo von Syrakus in die Notwendigkeit versetzt, eine sehr große Geldsumme einem Manne gänzlich anzuvertrauen, indem er sie ihm, unter freier Disposition darüber, ins Ausland mitgeben mußte: er erwählte dazu den Radmos, als welcher einen Beweis seltener, ja unerhörter Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit abgelegt hatte. Sein Zutrauen bewährte sich vollkommen. — Gleichermaaßen erwächst erst aus der Erfahrung und wenn die Gelegenheit kommt die Bekanntschaft mit uns selbst, auf welche das Selbstvertrauen, oder Mißtrauen, sich gründet. Je nachdem wir in einem Fall Besonnenheit, Muth, Redlichkeit, Verschwiegenheit, Feinheit, oder was sonst er heischen mochte, gezeigt haben, oder aber der Mangel an solchen Tugenden zu Tage gekommen ist, — sind wir, in Folge der mit uns gemachten Bekanntschaft, hinterher zufrieden mit uns selbst, oder das Gegentheil. Erst die genaue Kenntniß seines eigenen empirischen Charakters giebt dem Menschen Das, was man erworbenen Charakter nennt: derjenige besitzt ihn, der seine eigenen Eigenschaften, gute wie schlechte, genau kennt und dadurch sicher weiß, was er sich zutrauen und zumuthen darf, was aber nicht. Er spielt seine eigene Rolle, die er zuvor, vermöge seines empirischen Charakters, nur naturalisirte, jetzt kunstgemäß und methodisch, mit Festigkeit und Anstand, ohne jemals, wie man sagt, aus dem Charakter zu fallen, was stets beweist, daß Einer, im einzelnen Fall, sich über sich selbst im Irrthum befand. 3) Der Charakter des Menschen ist konstant: er bleibt der selbe, das ganze Leben hindurch. Unter der veränderlichen Hülle seiner Jahre, seiner Verhältnisse, selbst seiner Kenntnisse und Ansichten, steckt, wie ein Krebs in seiner Schale, der identische und eigentliche Mensch, ganz unveränderlich und immer der selbe. Bloß in der Richtung und dem Stoff erfährt sein Charakter die scheinbaren Modifikationen, welche Folge der Verschiedenheit der Lebensalter und ihrer Bedürfnisse sind. Der Mensch ändert sich nie: wie er in einem Falle gehandelt hat, so wird er, unter völlig gleichen Umständen (zu denen jedoch auch die richtige Kenntniß dieser Umstände gehört) stets wieder handele Die Bestätigung dieser Wahrheit kann man aus der täglichen Erfahrung entnehmen: am frappantesten aber erhält man sie, wenn man einen Bekannten nach 20 bis 30 Jahren wiederfindet und ihn nun bald genau auf denselben Streichen betrifft, wie ehemals. — Zwar wird Mancher diese Wahrheit mit Worten leugnen: er selbst setzt sie jedoch bei seinem Handeln voraus, indem er Dem, den er ein Mal unredlich befunden, nie wieder traut, wohl aber sich auf Den verläßt, der sich früher redlich bewiesen. Denn auf jener Wahrheit beruht die Möglichkeit aller Menschenkenntnis und des festen Vertrauens auf die Geprüften, Erprobten, Bewährten. Sogar wenn ein solches Zutrauen uns ein Mal getäuscht hat, sagen wir nie: „sein Charakter hat sich geändert", sondern: „ich habe mich in ihm geirrt". — Auf ihr beruht es, daß, wenn wir den moralischen Werth einer Handlung beurtheilen wollen, wir vor Allem über ihr Motiv Gewißheit zu erlangen suchen, dann aber unser Lob oder Tadel nicht das Motiv trifft, sondern den Charakter, der sich durch ein solches Motiv be- stimmen ließ, als den zweiten und allein dem Menschen inhärirenden Faktor dieser That. — Auf der selben Wahrheit beruht es, daß die wahre Ehre (nicht die ritterliche, oder Narren-Ehre), ein Mal verloren, nie wieder herzustellen ist, sondern der Makel einer einzigen nichtswürdigen Handlung dem Menschen auf immer anklebt, ihn, wie man sagt, brandmarkt. Daher das Sprichwort: „Wer Ein Mal stiehlt, ist sein Lebtag ein Dieb." — Auf ihr beruht es, daß, wenn bei wichtigen Staatshändeln, es ein Mal kommen kann, daß der Verrat gewollt, daher der Verräter gesucht, gebraucht und belohnt wird; dann, nach erreichtem Zweck, die Klugheit gebietet, ihn zu entfernen, weil die Umstände veränderlich sind, sein Charakter aber unveränderlich. — Auf ihr beruht es, daß der größte Fehler eines dramatischen Dichters dieser ist, daß seine Charaktere nicht gehalten sind, d. h. nicht, gleich den von großen Dichtern dargestellten, mit der Konstanz und strengen Konsequenz einer Naturkraft durchgeführt sind; wie ich dieses Letztere in einem ausführlichen Beispiele am Shakespeare nachgewiesen habe, in Parerga, Bd. 2, §. 118, S. 196 der ersten Auflage (2. Aufl. §. 119, S. 248). — Ja, auf der selben Wahrheit beruht die Möglichkeit des Gewissens, sofern dieses oft noch im späten Alter die Unthaten der Jugend uns vorhält, wie z. B. dem I. I. Rousseau, nach 40 Jahren, daß er die Magd Marion eines Diebstahls beschuldigt hatte, den er selbst begangen. Dies ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß der Charakter unverändert der selbe geblieben; da, im Gegentheil, die lächerlichsten Irrthümer, die gröbste Unwissenheit, die wunderlichsten Thorheiten unserer Jugend uns im Alter nicht beschämen: denn das hat sich geändert, die waren Sache der Erkenntniß, wir sind davon zurückgekommen, haben sie längst abgelegt, wie unsere Jugendkleider. — Auf der selben Wahrheit beruht es, daß ein Mensch, selbst bei der deutlichsten Erkenntniß, ja, Verabscheuung seiner moralischen Fehler und Gebrechen, ja, beim aufrichtigsten Vorsatz der Besserung, doch eigentlich sich nicht bessert, sondern trotz ernsten Vorsähen und redlichem Versprechen, sich, bei erneuerter Gelegenheit, doch wieder auf den selben Pfaden wie zuvor, zu seiner eigenen Ueberraschung, betreffen läßt. Bloß seine Erkenntniß läßt sich berichtigen; daher er zu der Einsicht gelangen kann, daß diese oder jene Mittel, die er früher anwandte, nicht zu seinem Zwecke führen, oder mehr Nachtheil, als Gewinn bringen: dann ändert er die Mittel, nicht die Zwecke. Hierauf beruht das Amerikanische Pönitenziarsystem: es unternimmt nicht, den Charakter, das Herz des Menschen zu bessern, wohl aber ihm den Kopf zurechtzusetzen und ihm zu zeigen, daß er die Zwecke, denen er vermöge seines Charakters unwandelbar nachstrebt, auf dem bisher gegangenen Wege der Unredlichkeit weit schwerer und mit viel größeren Mühsäligkeiten und Gefahren erreichen würde, als auf dem der Ehrlichkeit, Arbeit und Genügsamkeit. Ueberhaupt liegt allein in der Erkenntniß die Sphäre und der Bereich aller Besserung und Veredelung. Der Charakter ist unveränderlich, die Motive wirken mit Nothwendigkeit: aber sie haben durch die Erkenntniß hindurchzugehen, als welche das Medium der Motive ist. Diese aber ist der mannigfaltigsten Erweiterung, der immerwährenden Berichtigung in unzähligen Graden fähig: dahin arbeitet alle Erziehung. Die Ausbildung der Vernunft, durch Kenntnisse und Einsichten jeder Art, ist dadurch moralisch wichtig, daß sie Motiven, für welche ohne sie der Mensch verschlossen bliebe, den Zugang öffnet. So lange er diese nicht verstehen konnte, waren sie für seinen Willen nicht vorhanden. Daher kann, unter gleichen äußern Umständen, die Lage eines Menschen das zweite Mal doch in der That eine ganz andere sein, als das erste: wenn er nämlich erst in der Zwischenzeit fähig geworden ist, jene Umstände richtig und vollständig zu begreifen; wodurch jetzt Motive auf ihn wirken, denen er früher unzugänglich war. In diesem Sinn sagten die Scholastiker sehr richtig: causa finalis (Zweck, Motiv) movet non secundum suum esse reale, sed secundum esse cognitum. Weiter aber, als auf die Berichtigung der Erkenntniß, erstreckt sich keine moralische Einwirkung, und das Unternehmen, die Charakterfehler eines Menschen durch Reden und Moralisiren aufheben und so seinen Charakter selbst, seine eigentliche Moralität, umschaffen zu wollen, ist ganz gleich dem Vorhaben, Blei durch äußere Einwirkung in Gold zu verwandeln, oder eine Eiche durch sorgfältige Pflege dahin zu bringen, daß sie Aprikosen trüge. Die Überzeugung von der Unveränderlichkeit des Charakters finden wir als eine unzweifelhafte schon von Apulejus ausgesprochen, in seiner Oratio de magia, wo selbst er, sich gegen die Beschuldigung der Zauberei verteidigend, an seinen bekannten Charakter appelliert und sagt: Certum indicem cujusque animum esse, qui semper eodem in ingenio ad virtutem vel ad malitiam moratus, firmum argumentum est accipiendi criminis, aut respuendi. 4) Der individuelle Charakter ist angeboren: er ist kein Werk der Kunst, oder der dem Zufall unterworfenen Umstände; sondern das Werk der Natur selbst. Er offenbart sich schon im Kinde, zeigt dort im Kleinen, was er künftig im Großen sein wird. Daher legen, bei der allergleichesten Erziehung und Umgebung, zwei Kinder den grundverschiedensten Charakter aufs deutlichste an den Tag: es ist der selbe, den sie als Greise tragen werden. Er ist sogar, in seinen Grundzügen, erblich, aber nur vom Vater, die Intelligenz hingegen von der Mutter; worüber ich auf Kap. 43 des zweiten Bandes meines Hauptwerkes verweise. Aus dieser Darlegung des Wesens des individuellen Charakters folgt allerdings, daß Tugenden und Laster angeboren sind. Diese Wahrheit mag manchem Vorurtheil und mancher Rockenphilosophie, mit ihren sogenannten praktischen Interessen, d. h. ihren kleinen, engen Begriffen und beschränkten Kinderschulansichten, ungelegen kommen: sie war aber schon die Ueberzeugung des Vaters der Moral, des Sokrates, der, laut Angabe des Aristoteles (Eth. inagna, I, 9) behauptete: ούχ έφ' ήμιν γενέσφαι τό οπουόαιους είναι, ή φαύλους, χ.τ.λ. (in arbitrio nostro positum non esse, nos probos, vel malos esse). Was Aristoteles hier dagegen erinnert, ist offenbar schlecht: auch theilt er selbst jene Meinung des Sokrates und spricht sie auf das deutlichste aus, in der Eth. Nicom.; VI, 13: "πάοι γάρ δοχεί έχαστα τώγ ήθών δπάρχειν φύσει πως. χαί γάρ όίχαιοι χαί σωφρονιχοι χαί άνόρευοι χαί τάλλα έχνμεν εύδύς έχ γενετής' " (Singueli enim mores in omnibus hominibus quodammodo videntur inesse natura: namque ad justitiam, temperantiam, fortitudinem, ceterasque virtutes proclivitatem statim habemus, cum primum nascimur). Und wenn man die sämmtlichen Tugenden und Laster in dem Buche des Aristoteles de virtutibus et vitiis, wo sie zu kurzer Uebersicht zusammengestellt sind, überschaut; so wird man finden, daß sie sämmtlich, an wirklichen Menschen, sich nur denken lassen als angeborene Eigen- schaften, und nur als solche ächt wären: hingegen aus der Reflexion hervorgegangen und willkürlich angenommen, würden sie eigentlich auf eine Art Verstellung hinauslaufen, unächt sein, daher auch auf ihren Fortbestand und ihre Bewährung im Drange der Umstände dann durchaus nicht zu rechnen sein würde. Und auch wenn man die beim Aristoteles und allen Alten fehlende Christliche Tugend der Liebe, caritas, hinzufügt; so verhält es sich mit ihr nicht anders. Wie sollte auch die unermüdliche Güte des einen Menschen und die unverbesserliche, tief wurzelnde Bosheit des andern, der Charakter der Antonine, des Hadrian, des Titus einerseits, und der des Kaligula, Nero, Domitian andererseits, von außen angeflogen, das Werk zufälliger Umstände, oder bloßer Erkenntniß und Belehrung sein! Hatte doch gerade Nero den Seneta zum Erzieher. — Vielmehr liegt im angeborenen Charakter, diesem eigentlichen Kern des ganzen Menschen, der Keim aller seiner Tugenden und Laster. Diese dem unbefangenen Menschen natürliche Ueberzeugung hat auch die Hand des Bellejus Paterkulus geführt, als er (II, 35) über den Rato Folgendes niederschrieb: Homo virtuti consimillimus, et per omnia genio diis, quam hominibus propior: qui nunquam rects fecit, ut facere viderdectur, sed quia aliter facere non poterat^1 Diese Stelle wird allmälig zu einem regulären Armaturstück im Zeughause der Deterministen, welche Ehre der gute alte Historiker, vor 1800 Jahren, sich gewiß nicht träumen ließ. Zuerst hatte sie Hobbes gelobt, nach ihm Priestlen. Dann hat sie Schellig in seiner Abhandlung über die Freiheit, S. 478, in einer zu seinen Zwecken etwas verfälschten Übersetzung wiedergegeben; weshalb er auch den Bellejus Paterkulus nicht namentlich anführt, sondern, so klug wie vornehm, sagt „ein Alter\" . Endlich habe auch ich nicht ermangeln wollen, sie beizubringen, da sie wirklich zur Sache ist. . Woraus hingegen, unter der Annahme der Willensfreiheit, Tugend und Laster, oder überhaupt die Tatsache, daß zwei gleich erzogene Menschen, unter völlig gleichen Umständen und Anlässen, ganz verschieden, ja entgegengesetzt handeln, eigent- ^1 Diese Stelle wird allmälig zu einem regulären Armaturstück im Zeughause der Deterministen, welche Ehre der gute alte Historiker, vor 1800 Jahren, sich gewiß nicht träumen ließ. Zuerst hatte sie Hobbes gelobt, nach ihm Priestlen. Dann hat sie Schellig in seiner Abhandlung über die Freiheit, S. 478, in einer zu seinen Zwecken etwas verfälschten Übersetzung wiedergegeben; weshalb er auch den Bellejus Paterkulus nicht namentlich anführt, sondern, so klug wie vornehm, sagt „ein Alter" . Endlich habe auch ich nicht ermangeln wollen, sie beizubringen, da sie wirklich zur Sache ist. ⇑ lich entspringen soll, ist schlechterdings nicht abzusehen. Die tatsächliche, ursprüngliche Grundverschiedenheit der Charaktere ist unvereinbar mit der Annahme einer solchen Willensfreiheit, die darin besteht, daß jedem Menschen, in jeder Lage, entgegengesetzte Handlungen gleich möglich sein sollen. Denn da muß sein Charakter von Hause aus eine tabula rasa sein, wie nach Locke der Intellekt, und darf keine angeborene Neigung nach einer, oder der andern Seite haben; weil diese eben schon das vollkommene Gleichgewicht, welches man im libero arditrio indifferentiae denkt, aufheben würde. Im Subjektiven kann also, unter jener Annahme, der Grund der in Betrachtung genommenen Verschiedenheit der Handlungsweise verschiedener Menschen nicht liegen; aber noch weniger im Objektiven : denn alsdann wären es ja die Objekte, welche das Handeln bestimmten, und die verlangte Freiheit gienge ganz und gar verloren. Da bliebe allenfalls nur noch der Ausweg übrig, den Ursprung jener tatsäch- lichen großen Verschiedenheit der Handlungsweisen in die Mitte zwischen Subjekt und Objekt zu verlegen, nämlich sie entstehen zu lassen aus der verschiedenen Art, wie das Objektive vom Subjektiven aufgefaßt, d. h. wie es von verschiedenen Menschen erkannt würde. Dann liefe aber Alles auf richtige, oder falsche Erkenntniß der vorliegenden Umstände zurück, wodurch der moralische Unterschied der Handlungsweisen zu einer bloßen Verschiedenheit der Richtigkeit des Urtheils umgestaltet und die Moral in Logik verwandelt würde. Versuchten nun die Anhänger der Willensfreiheit zuletzt noch sich aus jenem schlimmen Dilemma dadurch zu retten, daß sie sagten: angeborene Verschiedenheit der Charaktere gebe es zwar nicht, aber es entstände eine dergleichen Verschiedenheit aus äußeren Umständen, Eindrücken, Erfahrungen, Beispiel, Lehren u. s. w.: und wenn auf diese Weise ein Mal der Charakter zu Stande gekommen wäre; so erklärte sich aus ihm nachher die Verschiedenheit des Handelns: so ist darauf zu sagen, erstlich, daß demnach der Charakter sich sehr spät ein- stellen würde (während er tatsächlich schon in Kindern zu erkennen ist) und die meisten Menschen sterben würden, ehe sie einen Charakter erlangt hätten; zweitens aber, daß alle jene äußeren Umstände, deren Werk der Charakter sein sollte, ganz außer unserer Macht liegen und vom Zufall (oder wenn man will, von der Vorsehung) so oder anders herbeigeführt würden: wenn nun also aus diesen der Charakter und aus diesem wieder die Verschiedenheit des Handelns entspränge; so würde alle moralische Verantwortlichkeit für diese letztere ganz und gar wegfallen, da sie offenbar zuletzt das Werk des Zufalls oder der Vorsehung wäre. So sehen wir also, unter der Annahme der Willensfreiheit, den Ursprung der Verschiedenheit der Handlungsweisen, und damit der Tugend, oder des Lasters, nebst der Verantwortlichkeit, ohne allen Anhalt schweben und nirgends ein Plätzchen finden, Wurzel darauf zu schlagen. Hieraus aber ergiebt sich, daß jene Annahme, so sehr sie auch, auf den ersten Blick, dem rohen Verstande zusagt, doch im Grunde ebenso sehr mit unsern moralischen Ueberzeugungen im Widerspruch steht, als, wie genugsam gezeigt, mit der obersten Grundregel unsers Verstandes. Die Notwendigkeit, mit der, wie ich oben ausführlich dargethan habe, die Motive, wie alle Ursachen überhaupt, wirken, ist keine voraussetzungslose. Jetzt haben wir ihre Voraussetzung, den Grund und Boden worauf sie fußt, kennen gelernt: es ist der angeborene, individuelle Charakter. Wie jede Wirkung in der unbelebten Natur ein nothwendiges Produkt zweier Faktoren ist, nämlich der hier sich äußernden allgemeinen Naturkraft und der diese Aeußerung hier hervorrufenden einzelnen Ursache; gerade so ist jede That eines Menschen das notwendige Produkt seines Charakters und des eingetretenen Motivs. Sind diese Beiden gegeben, so erfolgt sie unausbleiblich. Damit eine andere entstände, müßte entweder ein anderes Motiv oder ein anderer Charakter gesetzt werden. Auch würde jede That sich mit Sicherheit vorhersagen, ja, berechnen lassen; wenn nicht theils der Charakter sehr schwer zu erforschen, theils auch das Motiv oft verborgen und stets der Gegenwirkung anderer Motive, die allein in der Gedankensphäre des Menschen, Andern unzugänglich, liegen, bloßgestellt wäre. Durch den angeborenen Charakter des Menschen sind schon die Zwecke überhaupt, welchen er unabänderlich nachstrebt, im Wesentlichen bestimmt: die Mittel, welche er dazu ergreift, werden bestimmt theils durch die äußeren Umstände, theils durch seine Auffassung derselben, deren Richtigkeit wieder von seinem Verstande und dessen Bildung abhängt. Als Endresultat von dem Allen erfolgen nun seine einzelnen Thaten, mithin die ganze Rolle, welche er in der Welt zu spielen hat. — Ebenso richtig daher, wie poetisch aufgefaßt, findet man das Resultat der hier dargelegten Lehre vom individuellen Charakter ausgesprochen in einer der schönsten Strophen Goethe's: „Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, So sagten schon Sybellen, so Propheten; Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt." Jene Voraussetzung also, auf der überhaupt die Notwendigkeit der Wirkungen aller Ursachen beruht, ist das innere Wesen jedes Dinges, sei dasselbe nun bloß eine in diesem sich äußernde allgemeine Naturkraft, oder sei es Lebenskraft, oder sei es Wille: immer wird jegliches Wesen, welcher Art es auch sei, auf Anlaß der einwirkenden Ursachen, seiner eigentümlichen Natur gemäß reagiren. Dieses Gesetz, dem alle Dinge der Welt, ohne Ausnahme, unterworfen sind, drückten die Scholastiker aus in der Formel operari sequitur esse. Demselben zufolge prüft der Chemiker die Körper durch Reagenzien, und der Mensch den Menschen durch die Proben, auf welche er ihn stellt. In allen Fällen werden die äußeren Ursachen mit Nothwendigkeit hervorgerufen, was in dem Wesen steckt: denn dieses kann nicht anders reagiren, als nach dem wie es ist. Hier ist daran zu erinnern, daß jede Existentia eine Essentia voraussetzt: d. h. jedes Seiende muß eben auch Etwas sein, ein bestimmtes Wesen haben. Es kann nicht daseyn und dabei doch nichts sein, nämlich so etwas wie das Ens metaphysicum, d. h. ein Ding welches ist und weiter nichts als ist, ohne alle Bestimmungen und Eigenschaften, und folglich ohne die aus diesen fließende entschiedene Wirkungsart: sondern so wenig eine Essentia ohne Existentia eine Realität liefert (was Kant durch das bekannte Beispiel von hundert Thalern erläutert hat); ebenso wenig vermag Dies eine Existentia ohne Essentia. Denn jedes Seiende muß eine ihm wesentliche, eigenthümliche Natur haben, vermöge welcher es ist was es ist, die es stets behauptet, deren Aeußerungen von den Ursachen mit Notwendigkeit hervorgerufen werden; während hingegen diese Natur selbst keineswegs das Werk jener Ursachen, noch durch dieselben modifikabel ist. Alles dieses aber gilt vom Menschen und seinem Willen ebenso sehr, wie von allen übrigen Wesen in der Natur. Auch er hat zur Existentia eine Essentia, d. h. grundwesentliche Eigenschaften, die eben seinen Charakter ausmachen und nur der Veranlassung von Außen bedürfen, um hervorzutreten. Folglich zu erwarten, daß ein Mensch, bei gleichem Anlaß, ein Mal so, ein ander Mal aber ganz anders handeln werde, wäre wie wenn man erwarten wollte, daß der selbe Baum, der diesen Sommer Kirschen trug, im nächsten Birnen tragen werde. Die Willensfreiheit bedeutet, genau betrachtet, eine Existentia ohne Essentia; welches heißt, daß etwas sei und dabei doch Nichtssei, welches wiederum heißt, nicht sei, also ein Widerspruch ist. Der Einsicht hierin, wie auch in die a priori gewisse und daher ausnahmslose Gültigkeit des Gesetzes der Kausalität, ist es zuzuschreiben, daß alle wirklich tiefen Denker aller Zeiten, so verschieden auch ihre sonstigen Ansichten sein mochten, darin übereinstimmten, daß sie die Nothwendigkeit der Willensakte bei eintretenden Motiven behaupteten und das liberum arbitrium verwarfen. Sogar haben sie, eben weil die unberechenbar große Majorität der zum Denken unfähigen und dem Scheine und Vorurtheil Preis gegebenen Menge dieser Wahrheit allezeit hartnäckig widerstrebte, sie auf die Spitze gestellt, um sie in den entschiedensten, ja, übermütigsten Ausdrücken zu behaupten. Der bekannteste von diesen ist der Esel des Buridan , nach welchem man jedoch, seit ungefähr hundert Jahren, in den von Buridan noch vorhandenen Schriften vergeblich sucht. Ich selbst besitze eine augenscheinlich noch im fünfzehnten Jahrhundert gedruckte Ausgabe seiner Sophismata, ohne Druckort, noch Jahreszahl, noch Seitenzahl, in der ich oft vergeblich danach gesucht habe, obgleich fast auf jeder Seite Esel als Beispiele vorkommen. Bayle, dessen Artikel Buridan die Grundlage alles seitdem darüber Geschriebenen ist, sagt sehr unrichtig, daß man nur von dem einen Sophisma Buridans wisse; da ich einen ganzen QuartantenSophismata von ihm habe. Auch hätte Bayle, da er die Sache so ausführlich behandelt, wissen sollen, was jedoch auch seitdem nicht bemerkt zu sein scheint, daß jenes Beispiel, welches gewissermaaßen zum Symbol oder Typus der großen hier von mir verfochtenen Wahrheit geworden ist, weit älter ist, als Buridan. Es findet sich im Dante, der das ganze Wissen seiner Zeit inne hatte, vor Buridan lebte und nicht von Eseln, sondern von Menschen redet, mit folgenden Worten, welche das vierte Buch seines Paradiso eröffnen: Intra duo cibi, distanti e moventi D'un modo, prima si morria di fame, Che liber' uomo l'un recasse a' denti^1 Inter duos cibos aeque remotos unoque modo motos consistitutus, homo prius famie periret, quam ut, absoluta libertate usus, unum eorum dentibus admoveret. . ^1 Inter duos cibos aeque remotos unoque modo motos consistitutus, homo prius famie periret, quam ut, absoluta libertate usus, unum eorum dentibus admoveret. ⇑ Ja, es findet sich schon im Aristoteles, De coelo, II, 13, mit diesen Worten: χαί δ λόνος τού πεινώντος χαί δψώντος σφόδρα μέν, δμοίως δέ, χαί τών έδωδμών χαί ποτών ίοον άπέχοντος, χαί γάρ τοδτον ήρςμετν άναγχαίον (item ea, quae de sitiente vehementer esurienteque dicuntur cum aeque ab his, quae eduntur atque bibuntur, distat: quiseat enim necesse est). Buridan, der aus vielen Quellen das Beispiel übernommen hatte, vertauschte den Menschen gegen einen Esel, bloß weil es die Gewohnheit dieses dürftigen Scholastikers ist, zu seinen Beispielen entweder Sokrates und Platon, oder asinum zu nehmen. Die Frage nach der Willensfreiheit ist wirklich ein Probierstein, an welchem man die tief denkenden Geister von den oberflächlichen unterscheiden kann, oder ein Gränzstein, wo beide aus einander gehen, indem die ersteren sämmtlich das nothwendige Erfolgen der Handlung, bei gegebenem Charakter und Motiv, behaupten, die letzteren hingegen, mit dem großen Haufen, der Willensfreiheit anhängen. Sodann giebt es noch einen Mittelschlag, welcher, sich verlegen fühlend, hin und her lavirt, sich und Andern den Zielpunkt verrückt, sich hinter Worte und Phrasen flüchtet, oder die Frage so lange dreht und verdreht, bis man nicht mehr weiß, worauf sie hinauslief. So hat es schon Leibniz gemacht, der viel mehr Mathematiker und Polyhistor, als Philosoph war^1 Leibnizens Haltlosigkeit in diesem Punkte zeigt sich am deutlichsten in seinem Briefe an Coste, Opera phil. ed. Erdmann, p. 447; demnächst auch in der Théodicée, §. 45—53. . Aber um solche Hin- und Her-Redner zur Sache zu bringen, muß man ihnen die Frage folgendermaaßen stellen und nicht davon abgehen: 1) Sind einem gegebenen Menschen, unter gegebenen Umständen, zwei Handlungen möglich, oder nur eine? — Antwort aller Tiefdenkenden: Nur Eine. 2) Konnte der zurückgelegte Lebenslauf eines gegebenen ^1 Leibnizens Haltlosigkeit in diesem Punkte zeigt sich am deutlichsten in seinem Briefe an Coste, Opera phil. ed. Erdmann, p. 447; demnächst auch in der Théodicée, §. 45—53. ⇑ Menschen — angesehen, daß einerseits sein Charakter unveränderlich feststeht und andererseits die Umstände, deren Einwirkung er zu erfahren hatte, durchweg und bis auf das Kleinste herab von äußeren Ursachen, die stets mit strenger Nothwendigkeit eintreten, und deren aus lauter ebenso nothwendigen Gliedern bestehende Kette ins Unendliche hinaufläuft, nothwendig bestimmt wurden, — irgend worin, auch nur im Geringsten, in irgend einem Vorgang, einer Scene, anders ausfallen, als er ausgefallen ist? — Nein! ist die konsequente und richtige Antwort. Die Folgerung aus beiden Sätzen ist: Alles was geschieht, vom Größten bis zum Kleinsten, geschieht nothwendig. Quidquid fit necessario fit. Wer bei diesen Sätzen erschrickt, hat noch Einiges zu lernen und Anderes zu verlernen: danach aber wird er erkennen, daß sie die ergiebigste Quelle des Trostes und der Beruhigung sind. — Unsere Thaten sind allerdings kein erster Anfang, daher in ihnen nichts wirklich Neues zum Daseyn gelangt: sondern durch das was wir thun, erfahren wir bloß was wir sind. Auf der, wenn auch nicht deutlich erkannten, doch gefühlten Ueberzeugung von der strengen Nothwendigkeit alles Geschehenden beruht auch die bei den Alten so fest stehende Ansicht vom Fatum, der είμαρμενη, wie auch der Fatalismus der Mohammedaner, sogar auch der überall unvertilgbare Glaube an Omina, weil eben selbst der kleinste Zufall nothwendig eintritt und alle Begebenheiten, so zu sagen, mit einander Tempo halten, mithin Alles in Allem wiederklingt. Endlich hängt sogar dies damit zusammen, daß, wer ohne die leiseste Absicht und ganz zufällig einen Andern verstümmelt oder getödtet hat, dieses Piaculum sein ganzes Leben hindurch betrauert, mit einem Gefühl, welches dem der Schuld verwandt scheint, und auch von Andern, als persona piacularis (Unglücksmensch), eine eigene Art von Diskredit erfährt. Ja sogar auf die Christliche Lehre von der Gnadenwahl ist die gefühlte Ueberzeugung von der Unveränderlichkeit des Charakters und der Nothwendigkeit seiner Aeußerungen wohl nicht ohne Einfluß gewesen. — Endlich will ich noch folgende ganz beiläufige Bemerkung hier nicht unterdrücken, die Jeder, je nachdem er über gewisse Dinge denkt, beliebig stehen oder fallen lassen mag. Wenn wir die strenge Nothwendigkeit alles Geschehenden, vermöge einer alle Vorgänge ohne Unterschied verknüpfenden Kausalkette nicht annehmen, sondern diese letztere an unzähligen Stellen durch eine absolute Freiheit unterbrochen werden lassen; so wird alles Vorhersehen des Zukünftigen, im Traume, im hellsehenden Somnambulismus und im zweiten Gesicht (second sight), selbst objektiv, folglich absolut unmöglich, mithin undenkbar; weil es dann gar keine objektiv wirkliche Zukunft giebt, die auch nur möglicherweise vorhergesehen werden könnte: statt daß wir jetzt doch nur die subjektiven Bedingungen hiezu, also die subjektive Möglichkeit, bezweifeln. Und selbst dieser Zweifel kann bei den Wohlunterrichteten heut zu Tage nicht mehr Raum gewinnen, nachdem unzählige Zeugnisse, von glaubwürdigster Seite, jene Anticipationen der Zukunft festgestellt haben. Ich füge noch ein Paar Betrachtungen als Korollarien zur festgestellten Lehre von der Nothwendigkeit alles Geschehenden hinzu. Was würde aus dieser Welt werden, wenn nicht die Nothwendigkeit alle Dinge durchzöge und zusammenhielte, besonders aber der Zeugung der Individuen vorstände? Ein Monstrum, ein Schutthaufen, eine Fratze ohne Sinn und Bedeutung, — nämlich das Werk des wahren und eigentlichen Zufalls. — Wünschen, daß irgend ein Vorfall nicht geschehen wäre, ist eine thörichte Selbstquälerei: denn es heißt etwas absolut Unmögliches wünschen, und ist so unvernünftig, wie der Wunsch, daß die Sonne im Westen aufgienge. Weil eben alles Geschehende, Großes wie Kleines, streng nothwendig eintritt, ist es durchaus eitel, darüber nachzudenken, wie geringfügig und zufällig die Ursachen waren, welche jenen Vorfall herbeigeführt haben, und wie so sehr leicht sie hätten anders sein können: denn Dies ist illusorisch; indem sie alle mit ebenso strenger Nothwendigkeit eingetreten sind und mit ebenso vollkommener Macht gewirkt haben, wie die, in Folge welcher die Sonne im Osten aufgeht. Wir sollen vielmehr die Begebenheiten, wie sie eintreten, mit eben dem Auge betrachten, wie das Gedruckte, welches wir lesen, wohl wissend, daß es da stand, ehe wir es lasen. IV. Vorgänger Zum Beleg der obigen Behauptung über das Urtheil aller tiefen Denker hinsichtlich unsers Problems, will ich von den großen Männern, welche sich in diesem Sinne ausgesprochen haben, einige in Erinnerung bringen. Zuvörderst, um Diejenigen zu beruhigen, welche etwan glauben könnten, daß Religionsgründe der von mir verfochtenen Wahrheit entgegenständen, erinnere ich daran, daß schon Jeremias (10, 23) gesagt hat: „Des Menschen Thun stehet nicht in seiner Gewalt, und stehet in Niemandes Macht, wie er wandele, oder seinen Gang richte." Besonders aber berufe ich mich auf Luther, welcher in einem eigens dazu geschriebenen Buch, De servo arbitrio, mit seiner ganzen Heftigkeit die Willensfreiheit bestreitet. Ein Paar Stellen daraus reichen hin, seine Meinung zu charakterisiren, die er natürlich nicht mit philosophischen, sondern mit theologischen Gründen unterstützt. Ich citire sie nach der Ausgabe von Seb. Schmidt, Strasburg 1707. — Daselbst S. 145 heißt es: Quare simul in omnium cordibus scriptum invenitur liberum arbitrium nihil esse; licet obsuretur tot disputationibus contrariis et tanta tot virorum auctoritate. — S. 214: Hoc loco admonitos velim liberi arditrii tutores, ut sciant, sese esse abnegatores Chrisiti, dum asserunt liberum arbitrium. — S. 220: Contra liberum arbitrium pugnabunt Scripturae testimonia, quotquot de Christo loquuntur. At ea sunt innumerabilia, imo tota Scriptura. Ideo, si Scriptura judice causam agimus, omnibus modis vicero, ut ne jota unum aut apex sit reliquus, qui non damnet dogma liberi arbitrii. — Jetzt zu den Philosophen. Die Alten sind hier nicht ernstlich in Betracht zu ziehen, da ihre Philosophie, gleichsam noch im Stande der Unschuld, die zwei tiefsten und bedenklichsten Probleme der neuern Philosophie noch nicht zum deutlichen Bewußtseyn gebracht hatte, nämlich die Frage nach der Freiheit des Willens und die nach der Realität der Außenwelt, oder dem Verhältniß des Idealen zum Realen. Wie weit übrigens das Problem von der Freiheit des Willens den Alten klar geworden, kann man ziemlich ersehen aus des Aristoteles Ethica Nicoin., III , c. 1—8, wo man finden wird, daß sein Denken darüber im Wesentlichen bloß die physische und intellektuelle Freiheit betrifft, daher er stets nur von έχουοιν χαι άχουοτον redet, willkührlich und frei als einerlei nehmend. Das sehr viel schwerere Problem der moralischen Freiheit hat sich ihm noch nicht dargestellt, obgleich allerdings bisweilen seine Gedanken bis dahin reichen, besonders Ethica Nicom., II, 2, und III, 7, wo er aber in den Fehler verfällt, den Charakter aus den Thaten abzuleiten, statt umgekehrt. Ebenso kritisirt er sehr fälschlich die oben von mir angeführte Ueberzeugung des Sokrates: an andern Stellen aber hat er diese wieder zu der seinigen gemacht, z. B. Nicoin., X, 10: τό μέν οδν τής φύαεως δηλον ώς ούχ έρ' ήμίν ύπάρχει άλλχ ειά πνας ζείας τοίς ώς ούχ έφ' ήμίν ύπάρχει (quod igitur a natura tribuitur, id in nostra potestate non esse, sed, ad aliqua divina causa profectum, inesse in iis, qui revera sunt fortunati, perspicuum est). Mox: Δεί δή τό ήφος προύπάρχειν πως οιχετον τής άρετής οτέργον τό χαλόν χαί δυσχεραίον το αίοχρόν (Mores igitur ante quo dammodo insint oportet, ad virtutem accommodati, qui honestum amplectantur, turpitudineque offendantur); welches mit der oben von mir beigebrachten Stelle stimmt, wie auch mit Eth. magna, I, 11. Οόχ έοται ό προαιρούμενος είναι οπουδαιότατος, άν μή χαί ή φύοις δπάρεη βελτίων μέντοι έσται (non enim ut quisque, voluerlit, erit omnium optimus, nisi etiam natura exstiterit: melior quidem recte erit). In gleichem Sinn behandelt Aristoteles die Frage nach der Willensfreiheit in der Ethica magna, I, 9—18, und Ethica Eudemia, II, 6—10, wo er dem eigentlichen Problem noch etwas näher kommt: doch ist alles schwankend und oberflächlich. Es ist überall seine Methode, nicht direkt auf die Sachen einzugehen, analytisch verfahrend; sondern, synthetisch, aus äußern Merkmalen Schlüsse zu ziehen: statt einzudringen, um zum Kern der Dinge zu gelangen, hält er sich an äußere Kennzeichen, sogar an Worte. Diese Methode führt leicht irre und, bei tiefern Problemen, nie zum Ziele. Hier nun bleibt er vor dem vermeintlichen Gegensatz zwischen dem Nothwendigen und dem Willkührlichen, άναγχαιον χαι έχουσιον, stehen, wie vor einer Mauer: über diese hinaus aber liegt erst die Einsicht, daß das Willkührliche gerade als solches nothwendig ist, vermöge des Motivs, ohne welches ein Willensakt so wenig wie ohne ein wollendes Subjekt möglich ist, und welches Motiv eine Ursache ist, so gut wie die mechanische, von der es nur im Unwesentlichen sich unterscheidet; sagt er doch selbst (Eth. Eudem., II, 10): ή γάρ ού ένεχα μία τώγ αιτίωγ έστίγ (nam id, cujus gratia, una e causarum numero est). Daher eben ist jener Gegensatz zwischen dem Willkührlichen und Nothwendigen ein grundfalscher; wenn es gleich vielen angeblichen Philosophen noch heute ebenso geht wie dem Aristoteles. Schon ziemlich deutlich legt das Problem der Willensfreiheit Cicero dar, im Buche de fato, c. 10 & c. 17. Der Gegenstand seiner Abhandlung führt allerdings sehr leicht und natürlich darauf hin. Er selbst hält es mit der Willensfreiheit: aber wir sehen, daß schon Chrysippos und Diodoros sich das Problem, mehr oder weniger deutlich, zum Bewußtseyn gebracht haben müssen. — Beachtenswerth ist auch das dreißigste Todtengespräch des Lukianos, zwischen Minos und Sostratos, welches die Willensfreiheit und mit ihr die Verantwortlichkeit leugnet. Aber gewissermaaßen ist bereits das vierte Buch der Macka- bäer, in der Septuaginta (bei Luther fehlt es), eine Abhandlung über die Willensfreiheit; sofern es sich zur Aufgabe macht, den Beweis zu führen, daß die Vernunft (λογιομος) die Kraft besitzt, alle Leidenschaften und Affekte zu überwinden, und dies belegt durch die Jüdischen Märtyrer im zweiten Buch. Die älteste mir bekannte, deutliche Erkenntniß unsers Problems zeigt sich bei Klemens Alexandrinus, indem er (Strom. I, §. 17) sagt: όυτε δε οί έπαινοι, ούτε οί ψογοι ούφ' αί την έζουσιαν της δρμης χαι άφορμης, δλλ' άχουοιου της χαχιας οδοης (nec laudes, nec vituperationes, nec honores, nec suppliciat justa sunt, si anima non habeat liberam potestatem et appetendi et abstinendi, sed sit vitium involuntarium): dann, nach einem sich auf früher Gesagtes beziehenden Zwischensatz: εν' επ μαλιοτα δ φεος μεν ήμιν χαχιας άναιτιος (ut vel maxime quidem Deus nobis non sit causa vitii) . Dieser Höchst beachtenswerthe Nachsatz zeigt, in welchem Sinne die Kirche sogleich das Problem faßte, und welche Entscheidung sie, als ihrem Interesse gemäß, sofort anticipirte. — Beinahe 200 Jahre später finden wir die Lehre vom freien Willen bereits ausführlich behandelt von Nemesius, in seinem Werke De natura homnis, Kap. 35 am Ende, und Kap. 39—41. Die Freiheit des Willens wird hier ohne Weiteres mit der Willkühr, oder Wahlentscheidung, identifizirt und demnach eifrigst behauptet und dargethan. Doch ist es immer schon eine Ventilation der Sache. Aber das völlig entwickelte Bewußtsein unsers Problems, mit Allem, was daran hängt, finden wir zuerst beim Kirchenvater Augustinus, der deshalb, obwohl weit mehr Theolog, als Philosoph, hier in Betracht kommt. Sogleich jedoch sehen wir ihn durch dasselbe in merkliche Verlegenheit und unsicheres Schwanken versetzt, welches ihn bis zu Inkonse- quenzen und Widersprüchen führt, in seinen drei Büchern de libero arbitrio. Einerseits will er nicht,wie Pelagins, der Freiheit des Willens so viel einräumen, daß dadurch die Erbsünde, die Nothwendigkeit der Erlösung und die freie Gnadenwahl aufgehoben würde, mithin der Mensch durch eigene Kräfte gerecht und der Seeligkeit würdig werden könnte. Er giebt sogar in dem Argumento in liberos de lib. ard. ex Lib. I, c. 9, Retractationum desumto zu verstehen, daß er für diese Seite der Kontroverse (die Luther später so heftig verfocht) noch mehr gesagt haben würde, wenn jene Bücher nicht vor dem Auftreten des Pelagius geschrieben wären, gegen dessen Meinung er alsdann das Buch de natura et gratia abfaßte. Inzwischen sagt er schon de lib. ard. III, 18: Nunc autem homo non est bonus, nec habet in potestate, ut bonus sit, sive non videndo qualis esse debeat, sive videndo et non volendo esse, qualem debere esse se videt. —Mox:Velignorando non habet liberum arbitrium voluntatis ad eligendum quid recte faciat; vel resistente carnali consuetudine, quae violentia mortalis successionis quodammodo naturaliter involevit, videat quid recte faciendum sit, et velit, nec possit implere: und im erwähnten Argumento: Voluntas ergo ipsa, nisi gratia Dei Iiberatur a servitute, qua facta est serva peccati, et, ut vitia superet, adjuvetur, recte pieque vivi non potest a mortalibus. Andererseits jedoch bewogen ihn folgende drei Gründe die Freiheit des Willens zu vertheidigen: 1) Seine Opposition gegen die Manichäer, gegen welche ausdrücklich die Bücher de lib. ard. gerichtet sind, weil sie den freien Willen leugneten und eine andere Urquelle des Bösen, wie des Uebels, annahmen. Auf sie spielt er schon im letzten Kapitel des Buches de animae quantitate an : datum est animae Iiberum arbitrium, quod qui nugatroiis ratiocinationibus labefactare conantur, usque adeo coeci sunt, ut caet. 2) Die natürliche, von mir aufgedeckte Täuschung, vermöge welcher das „ich kann thun was ich will" für die Freiheit des Willens angesehen und „willkührlich" als sofort identisch mit „frei" genommen wird: de lib. arb. I, 12. Quid enim tam in voluntate, quam ipsa voluntas, situm est? 3) Die Nothwendigkeit, die moralische Verantwortlichkeit des Menschen mit der Gerechtigkeit Gottes in Einklang zu bringen. Nämlich dem Scharfsinn des Augustinus ist eine höchst ernstliche Bedenklichkeit nicht entgangen, deren Beseitigung so schwierig ist, daß, soviel mir bekannt, alle späteren Philosophen, mit Ausnahme dreier, die wir deshalb sogleich näher betrachten werden, sie lieber fein leise umschlichen haben, als wäre sie nicht vorhanden. Augustinus hingegen spricht sie, mit edler Offenheit, ganz unumwunden aus, gleich in den Eingangsworten der Bücher de lib. arb.: Die mihi, quaeso, utrum Deus non sit auctor mali? — Und dann ausführlicher gleich im zweiten Kapitel: Movet autem animum, si peccata ex his animabus suntquas Deus creavit, illae autem ani mae ex Deo; quomodo non, parvo intorvallo, peccata referantur in Deum. Worauf der Interlokutor versetzt: Id nunc plane abs te dictum est, quod me cogitantem satis excru- ciat. — Diese höchst bedenkliche Betrachtung hat Luther wieder aufgenommen und mit der ganzen Heftigkeit seiner Beredsamkeit hervorgehoben, De servo arbitrio, S. 114. At talem oportere esse Deum,qui libertate sua necessitatem imponat nobis, ipsa ratio naturalis cogitur confiteri. — Concessa praescientia et omnipotentia, sequitur naturaliter, irrefragabili consequentia, nos per nos ipsos non esse factos, nec vivere, nec agere quidquam, sed per illius omnipotentiam. — — Pugnat ex diametro praescientia et omnipotentia Dei cum nostro libero arbitrio. — Omnes homines coguntur inevitabili consequentia admittere, nos non fieri nostra voluntate, sed necessitate; ita nos non facere quod libet, pro jure liberi arbitrii, sed prout Deus praescivit et agit consilio et virtute et immutabili: u. s. w. Ganz erfullt von dieser Erkenntniß finden wir, am Anfang des 17. Jahrhunderts, den Banini. Sie ist der Kern und die Seele seiner beharrlichen, wiewohl, unter dem Druck der Zeit, möglichst schlau verhehlten Auflehnung gegen den Theismus. Bei jeder Gelegenheit kommt er darauf zurück und wird nicht müde, sie von den verschiedensten Gesichtspunkten aus darzulegen. Z. B. in seinem Amphitheatro aeternae providentiae, exercitatio 16, sagt er: Si Deus vult peccata, igitur facit: scriptum est enim ,,Omnia quaecunque voluit fecit". Si non vult, tamen committuntur: erit ergo dicendus improvidus, vel impotens, vel crudelis, cum voti sui compos fìeri aut nesciat, aut nequeat, aut negligat. Philosophi inquiunt: si nollet Deus pessimas ac nefarias in orbe vigere actiones, procul dubio uno nutu extra mundi limites omnia flagitia exterminaret, profligaretque: quis enim nostrum divinae potest resistere voluntati? Quomodo invito Deo patrantur scelera, si in actu quoque peccanti scelestis vires subministrat? Ad haec, si contra Dei voluntatem homo labitur, Deus erit inferior homine, qui ei adversatur, et praevalet. Hinc deducunt: Deus ita desiderat hunc mundum, qualis est: si meliorem vellet, meliorem haberet. — Und exercitatio 44 heißt es: Instrumentum movetur prout a suo principali dirigitur: sed nostra voluntas in suis operationibus se habet tanquam instrumentum, Deus vero ut agens principale; ergo si haec male operatur, Deo imputandum est. Voluntas nostra non solum quoad motum, sed quoad substantiam quoque tota a Deo dependet: quare nihil est, quod eidem imputari vere possit, neque ex parte substantiae, neque operationis, sed totum Deo, qui voluntatem sic forinavit, et ita movet. Cum essentia et motus voluntatis sit a Deo, adscribi eidem debent vel bonae, vel malae voluntatis operationes, si haec ad illum se habet velut instrumentum. Man muss aber bei Banini im Auge behalten, dass er durchgängig das Stratagem gebraucht, in der Person eines Gegners, seine wirkliche Meinung als die, welche er perhorrescirt und widerlegen will, aufzustellen und sie überzeugend und grundlich darzuthun; um ihr sodann, in eigener Person, mit seichten Grunden und lahmen Argumenten entgegenzutreten und darauf, tanquam re bene gesta, triumphirend abzugehen, — sich auf die Malignitat seines Lesers verlassend. Durch diese Verschmitztheit hat er sogar die hochgelehrte Sorbonne getauscht, welche, jenes Alles für bare Münze nehmend, vor seine gottlosesten Schriften treuherzig ihr Imprimatur gesetzt Hat. Mit desto herzlicherer Freude sah sie ihn, drei Jahre darauf, lebendig verbrannt werden, nachdem ihm zuvor die gotteslästerliche Zunge ausgeschnitten worden. Dies nämlich ist doch das eigentlich kräftige Argument der Theologen, und seitdem es ihnen benommen ist, gehen die Sachen sehr rückwarts. Unter den Philosophen im engern Sinne ist, wenn ich nicht irre, Hume der erste, welcher nicht um die zuerst von Augustinus angeregte, schwere Bedenklichkeit herumgeschlichen ist, sondern sie, ohne jedoch des Augustinus, oder Luthers, geschweige Banini's zu gedenken, unverhohlen dargelegt, in seinem Essay on liberty and necessity, wo es, gegen das Ende, heißt: The ultimate author of all our volitions is the creator of the world, who first bestowed motion on this immense machine, and placed all beings in that particular position, whence every subsequent event, by an unevitable necessity, must result. Human actions therefore either can have no turpitude at all, as proceeding from so good a cause, or, if they have any turpitude, they must involve our creator in the same guilt, while he is acknowledged to be their ultimate cause and author. For as a man, who fired a mine, is answerable for all the consequences, whether the train employed be long or short; so wherever a continued chain of necessary causes is fixed, that Being, either finite or infinite, who produces the first, is likewise the autor of all the rest ^1 Manchen Deutschen Lesern wird eine Uebersetzung dieser und der übrigen Englischen Stellen willkommen sein: ,,Der letzte Urheber aller unserer Willensakte ist der Schöpfer der Welt, als welcher diese unermeßliche Maschine zuerst in Bewegung gesetzt und alle Wesen in die besondere Lage gebracht hat, aus welcher jede nachmalige Begebenheit mit unvermeidlicher Notwendigkeit erfolgen mußte. Dieserhalb sind menschliche Handlungen entweder gar keiner Schlechtigkeit fähig, weil sie von einer so guten Ursache ausgehen; oder aber, wenn sie irgend schlecht sein können, so verwickeln sie unsern Schöpfer in die selbe Schuld, indem er anerkanntermaaßen ihre letzte Ursache, ihr Urheber ist. Denn wie ein Mann, der eine Mine anzündet, für alle Folgen hievon verantwortlich ist, der Schwefelfaden mag lang oder kurz gewesen sein; ebenso ist überall, wo eine ununterbrochene Verkettung nothwendig wirkender Ursachen fest steht, das Wesen, es sei endlich oder unendlich, welches die erste bewirkt, auch der Urheber aller übrigen.\" ).Er macht einen Versuch, diese Bedenklichkeit zu lösen, gesteht aber zum Schluß, daß er sie fur unlösbar hält. Auch Kant geräth, unabhängig von seinen Vorgängern, an den nämlichen Stein des Anstoßes, in der Kritik der praktischen Vernunft, S. 180 fg. der vierten Auflage, und S. 232 der Rosenkranzischen: "Es scheint doch, man müsse, sobald man annimmt, Gott, als allgemeines Urwesen, sei die Ursache auch der Existenz der Substanz, auch einräumen, die Handlungen des Menschen haben in demjenigen ihren bestimmenden Grund, was ganzlich außer seiner Gewalt ist, nämlich in der Kausalität eines von ihm unterschiedenen höchsten Wesens, von welchem das Daseyn des ersteren und die ganze Bestimmung seiner Kausalität ganz und gar abhängt. — Der Mensch wäre ein Baucanonsches Automat, gezimmert und aufgezogen vom obersten Meister aller Kunstwerke, und das Selbstbewutßtseyn wurde es zwar zu einem denkenden Automat machen, in welchem das Bewutßtseyn seiner Spontaneität, wenn sie für Freiheit gehalten wird, bloße Täuschung wäre, indem sie nur komparativ so genannt zu werden verdient, weil die nächsten bestimmenden Ursachen seiner Bewegung und eine lange Reihe derselben zu ihren ^1 Manchen Deutschen Lesern wird eine Uebersetzung dieser und der übrigen Englischen Stellen willkommen sein: ,,Der letzte Urheber aller unserer Willensakte ist der Schöpfer der Welt, als welcher diese unermeßliche Maschine zuerst in Bewegung gesetzt und alle Wesen in die besondere Lage gebracht hat, aus welcher jede nachmalige Begebenheit mit unvermeidlicher Notwendigkeit erfolgen mußte. Dieserhalb sind menschliche Handlungen entweder gar keiner Schlechtigkeit fähig, weil sie von einer so guten Ursache ausgehen; oder aber, wenn sie irgend schlecht sein können, so verwickeln sie unsern Schöpfer in die selbe Schuld, indem er anerkanntermaaßen ihre letzte Ursache, ihr Urheber ist. Denn wie ein Mann, der eine Mine anzündet, für alle Folgen hievon verantwortlich ist, der Schwefelfaden mag lang oder kurz gewesen sein; ebenso ist überall, wo eine ununterbrochene Verkettung nothwendig wirkender Ursachen fest steht, das Wesen, es sei endlich oder unendlich, welches die erste bewirkt, auch der Urheber aller übrigen." ⇑ bestimmenden Ursachen hinauf, zwar innerlich sind, die letzte und höchste aber doch gänzlich in einer fremden Hand angetroffen wird." — Er sucht nun diese große Bedenklichkeit durch die Unterscheidung zwischen Ding an sich und Erscheinung zu heben: durch diese aber wird so offenbar im Wesentlichen der Sache nichts geändert, daß ich überzeugt bin, es sei ihm damit gar nicht Ernst gewesen. Auch gesteht er selbst das Unzulängliche seiner Auflösung ein, S. 184, wo er hinzufügt: „allein ist denn jede andere, die man versucht hat, oder versuchen mag, leichter und faßlicher? Eher möchte man sagen, die dogmatischen Lehrer der Metaphysik hätten mehr ihre Verschmitztheit als Aufrichtigkeit darin bewiesen, daß sie diesen schwierigen Punkt so weit wie möglich aus den Augen brachten, in der Hoffnung, daß, wenn sie gar nicht davon sprächen, auch wohl Niemand leichtlich an ihn denken würde." Ich kehre, nach dieser sehr beachtenswerthen Zusammenstellung höchst heterogener Stimmen, die alle das Selbe sagen, zu unserm Kirchenvater zurück. Die Gründe, mit welchen er die schon von ihm in ihrer ganzen Schwere gefühlte Bedenklichkeit zu beseitigen hofft, sind theologische, nicht philosophische, also nicht von unbedingter Gültigkeit. Die Unterstützung derselben ist, wie gesagt, der dritte Grund, zu den zwei oben angeführten, warum er ein dem Menschen von Gott verliehenes Iiberum arbitrium zu vertheidigen sucht. Ein solches, da es sich zwischen den Schöpfer und die Sünden seines Geschöpfes trennend in die Mitte stellte, wäre auch wirklich zur Beseitigung der ganzen Bedenklichkeit hinreichend; wenn es nur, wie es leicht mit Worten gesagt ist und allenfalls dem nicht viel weiter als diese gehenden Denken genügen mag, auch bei der ernstlichen und tiefern Betrachtung wenigstens denkbar bliebe. Allein wie soll man sich vorstellig machen, daß ein Wesen, welches seiner ganzen Existentia und Essentia nach, das Werk eines andern ist, doch sich selbst uranfänglich und von Grund aus bestimmen und demnach für sein Thun verantwortlich sein könne? Der Satz Operari sequitur esse, d. h. die Wirkungen jedes Wesens folgen aus seiner Beschaffenheit, stößt jene Annahme um, ist aber selbst unumstößlich. Handelt ein Mensch schlecht, so kommt es daher, daß er schlecht ist. An jenen Satz aber knüpft sich sein Corollarium: ergo und esse, inde operari. Was würde man von dem Uhrmacher sagen, der seiner Uhr zürnte, weil sie unrichtig gienge? Wenn man auch noch so gern den Willen zu einer tabula rasa machen möchte; so wird man doch nicht umhin können einzugestehen, daß wenn z. B. von zwei Menschen der eine, in moralischer Hinsicht, eine der des andern ganz entgegengesetzte Handlungsweise befolgt, diese Verschiedenheit, die doch irgend woraus entspringen muß, ihren Grund entweder in den äußern Umständen hat, wo dann die Schuld offenbar nicht die Menschen trifft, oder aber in einer ursprünglichen Verschiedenheit ihres Willens selbst, wo dann Schuld und Verdienst abermals nicht sie trifft, wenn ihr ganzes Seyn und Wesen das Werk eines Andern ist. Nachdem die angeführten großen Männer sich vergeblich angestrengt haben, aus diesem Labyrinth einen Ausgang zu finden, gestehe ich willig ein, daß die moralische Verantwortlichkeit des menschlichen Willens ohne Aseität desselben zu denken, auch meine Fassungskraft übersteigt. Das selbe Unvermögen ist es ohne Zweifel gewesen, was die siebente der acht Definitionen, mit welchem Spinoza seine Ethik eröffnet, diktirt hat: ea res libera dicetur, quas ex sola naturae suae necessitate existit, et a se sola ad agendum determinatur; ncessaria autem, vel potius coacta, quae ad alio determinatur ad existendum et operandum. Wenn nämlich eine schlechte Handlung aus der Natur, d. i. der angeborenen Beschaffenheit, des Menschen entspringt, so liegt die Schuld offenbar am Urheber dieser Natur. Deshalb hat man den freien Willen erfunden. Aber woraus nun, unter Annahme desselben, sie entspringen soll, ist schlechterdings nicht einzusehen; weil er im Grunde eine bloß negative Eigenschaft ist und nur besagt, daß nichts den Menschen nöthigt, oder hindert, so oder so zu handeln. Dadurch aber wird nimmermehr klar, woraus denn zuletzt die Handlung entspringt, da sie nicht aus der angeborenen, oder angeschaffenen Beschaffenheit des Menschen hervorgehen soll, indem sie alsdann seinem Schöpfer zur Last fiele; noch aus den äußern Umständen allein, indem sie alsdann den Zufall zuzuschreiben wäre; der Mensch also jedenfalls schuldlos bliebe, — während er doch dafür verantwortlich gemacht wird. Das natürliche Bild eines freien Willens ist eine unbeschwerte Waage: sie hängt ruhig da, und wird nie aus ihrem Gleichgewicht kommen, wenn nicht in eine ihrer Schaalen etwas gelegt wird. So wenig wie sie aus sich selbst die Bewegung, kann der freie Wille aus sich selbst eine Handlung hervorbringen; weil eben aus Nichts nichts wird. Soll die Waage sich nach einer Seite senken; so muß ein fremder Körper ihr aufgelegt werden, der dann die Quelle der Bewegung ist. Ebenso muß die menschliche Handlung durch etwas hervorgebracht werden, welches positiv wirkt und etwas mehr ist, als eine bloß negative Freiheit. Dies aber kann nur zweierlei sein: entweder thun es die Motive an und für sich, d. h. die äußern Umstände: dann ist offenbar der Mensch unverantwortlich für die Handlung; auch müßten alsdann alle Menschen unter gleichen Umständen ganz gleich handeln: oder aber es entspringt aus seiner Empfänglichkeit für solche Motive, also aus dem angeborenen Charakter, d. h. aus den dem Menschen ursprünglich einwohnenden Neigungen, welche in den Individuen verschieden sein können und Kraft deren die Motive wirken. Dann aber ist der Wille kein freier mehr: denn diese Neigungen sind das auf die Schaale der Waage gelegte Gewicht. Die Verantwortlichkeit fällt auf Den zurück, der sie hineingelegt hat, d. h. dessen Werk der Mensch mit solchen Neigungen ist. Daher ist er nur in dem Fall, daß er selbst sein eigenes Werk sei, d. h. Aseität habe, für sein Thun verantwortlich. Der ganze hier dargelegte Gesichtspunkt der Sache läßt ermessen, was Alles an der Freiheit des Willens hängt, als welche eine unerläßliche Kluft bildet, zwischen dem Schöpfer und den Sünden seines Geschöpfs; woraus begreiflich wird, warum die Theologen sie so beharrlich festhalten, und ihre Schildknappen, die Philosophieprofessoren, sie pflichtschuldigst dabei so eifrig unterstützen, daß sie, für die bündigsten Gegenbeweise großer Denker taub und blind, den freien Willen festhalten und dafür kämpfen, wie pro ara et focis. Um aber endlich meinen oben unterbrochenen Bericht über den Augustinus zu beschließen; so geht seine Meinung im Ganzen dahin, daß der Mensch eigentlich nur vor dem Sündenfall einen ganz freien Willen gehabt habe, nach demselben aber, der Erbsünde anheimgefallen, von der Gnadenwahl und Erlösung sein Heil zu hoffen habe: — welches gesprochen heißt wie ein Kirchenvater. Inzwischen ist durch den Augustinus und seinen Streit mit Manichäern und Pelagianern die Philosophie zum Bewußtseyn unsers Problems erwacht. Von nun an wurde es ihr, durch die Scholastiker, allmälig deutlicher, wovon Buridan's Sophisma und die oben angeführte Stelle Dantes Zeugniß ablegen. — Wer aber zuerst der Sache auf den Grund gekommen ist, allem Anschein nach, Thomas Hobbes, dessen diesem Gegenstand eigens gewidmete Schrift: Quaestiones de libertate et necessitate, contra Doctorum Branhallum, 1656 erschien: sie ist jetzt selten. In Englischer Sprache findet sie sich in Th. Hobbes moral and political works, ein Band in Folio, London 1750, S. 469 fg., woraus ich folgende Hauptstelle hersetze. S. 483: 6) Nothing takes a beginning from itself; but from the action of some other immediate agent, without itself. Therefore, when first a man has an appetite or will to something, to which immediately before he had no appetite nor will; the cause of his will is not the will itself, but something else not in his own disposing. So that, whereas it is out of controversy, that of voluntary actions the will is the necessary cause, and by this which is said, the will is also necessarily caused by other things, whereof it disposes not, it follows that voluntary actions have all of them necessary causes, and therefore are necessitated. 7) I hold that to be a sufficient cause, to which nothing is wanting that is needfull to tbe producing of the effect. The same is also a necessary cause: for, if it be possible that a sufficient cause shall not bring forth the effect then there wanteth somewhat, which, was needfull to the producing of it; and so the cause was not sufficient. But if it be impossible that a sufficient cause should not produce the effect; then is a sufficient cause a necessary cause. Hence it is manifest, that whatever is produced, is produced necessarily. For whatsoever is produced has had a sufficent cause to produce it, or else it bad not been: and therefore also voluntary actions are necessiatated. 8) That ordinary difinition of a free agent (namely that a free agent is that, which, when all things are present, which are needfull to produce the effect, can nevertheless not produce it) implies a contradiction and is Nonsense; being as much as to say, the cause may be sufficient, that is to say necessary, and yet the effect shall not follow. — S. 485. Every accident, how contingent soever it seem, or how voluntary soever it be, is produced necessarily ^1 6) „Nichts fängt von selbst an, sondern Jedes durch die Einwirkung irgend einer andern, außer ihm gelegenen unmittelbaren Ursache. Daher, wenn jetzt ein Mensch etwas wünscht oder will, was er unmittelbar vorher nicht wünschte, noch wollte; so ist die Ursache seines Wollens nicht dies Wollen selbst, sondern etwas Anderes, nicht von ihm Abhängendes. Demnach, da der Wille unstreitig die nothwendige Ursache der willkührlichen Handlungen ist, und, dem eben Gesagten zufolge, der Wille nothwendig verursacht wird, durch andere von ihm unabhängige Dinge; so folgt, daß alle willkührlichen Handlungen nothwendige Ursachen haben, also necessitirt sind. 7) Als eine zureichende Ursache erkenne ich die an, welcher nichts abgeht von dem, was zur Hervorbringung der Wirkung nöthig ist. Eine solche aber ist zugleich eine nothwendige Ursache. Denn wenn es möglich wäre, daß eine zureichende Ursache ihre Wirkung nicht hervorbrächte; so müßte ihr etwas zur Hervorbringung dieser Nöthiges gefehlt haben: dann aber war die Ursache nicht zureichend. Wenn es aber unmöglich ist, daß eine zureichende Ursache ihre Wirkung nicht hervorbrächte; dann ist eine zureichende Ursache auch eine nothwendige Ursache. Hieraus folgt offenbar, daß Alles was hervorgebracht wird, nothwendig hervorgebracht wird. Denn Alles was hervorgebracht ist, hat eine zureichende Ursache gehabt, die es hervorbrachte; sonst wäre es nie entstanden: also sind auch die willkührlichen Handlungen necessitirt. 8) Jene gewöhnliche Definition eines frei Handelnden (daß es nämlich ein solches wäre, welches, wenn alles zur Hervorbringung der Wirkung Nöthige beisammen wäre, diese dennoch auch nicht hervorbringen könnte) enthält einen Widerspruch und ist Unsinn; da sie besagt, daß eine Ursache zureichend, d. i. nothwendig sein und die Wirkung doch ausbleiben könne. S. 485. Jede Begebenheit, so zufällig sie scheinen, oder so willkührlich sie sein mag, erfolgt nothwendig.\" ). ^1 6) „Nichts fängt von selbst an, sondern Jedes durch die Einwirkung irgend einer andern, außer ihm gelegenen unmittelbaren Ursache. Daher, wenn jetzt ein Mensch etwas wünscht oder will, was er unmittelbar vorher nicht wünschte, noch wollte; so ist die Ursache seines Wollens nicht dies Wollen selbst, sondern etwas Anderes, nicht von ihm Abhängendes. Demnach, da der Wille unstreitig die nothwendige Ursache der willkührlichen Handlungen ist, und, dem eben Gesagten zufolge, der Wille nothwendig verursacht wird, durch andere von ihm unabhängige Dinge; so folgt, daß alle willkührlichen Handlungen nothwendige Ursachen haben, also necessitirt sind. 7) Als eine zureichende Ursache erkenne ich die an, welcher nichts abgeht von dem, was zur Hervorbringung der Wirkung nöthig ist. Eine solche aber ist zugleich eine nothwendige Ursache. Denn wenn es möglich wäre, daß eine zureichende Ursache ihre Wirkung nicht hervorbrächte; so müßte ihr etwas zur Hervorbringung dieser Nöthiges gefehlt haben: dann aber war die Ursache nicht zureichend. Wenn es aber unmöglich ist, daß eine zureichende Ursache ihre Wirkung nicht hervorbrächte; dann ist eine zureichende Ursache auch eine nothwendige Ursache. Hieraus folgt offenbar, daß Alles was hervorgebracht wird, nothwendig hervorgebracht wird. Denn Alles was hervorgebracht ist, hat eine zureichende Ursache gehabt, die es hervorbrachte; sonst wäre es nie entstanden: also sind auch die willkührlichen Handlungen necessitirt. 8) Jene gewöhnliche Definition eines frei Handelnden (daß es nämlich ein solches wäre, welches, wenn alles zur Hervorbringung der Wirkung Nöthige beisammen wäre, diese dennoch auch nicht hervorbringen könnte) enthält einen Widerspruch und ist Unsinn; da sie besagt, daß eine Ursache zureichend, d. i. nothwendig sein und die Wirkung doch ausbleiben könne. S. 485. Jede Begebenheit, so zufällig sie scheinen, oder so willkührlich sie sein mag, erfolgt nothwendig." ⇑ In seinem berühmten Buche de cive, c. 1, §. 7, sagt er: Fertur unusquisque ad appetitionem ejus, quod sibi bonum, et ad fugam ejus, quod sibi malum est, maxime autem maximi malorum naturalium, quae est mors; idque necessitate quadam naturae non minore, quam qua fertur Gleich nach Hobbes sehen wir den Spinoza von der selben Ueberzeugung durchdrungen. Seine Lehre in diesem Punkte zu charakterisiren, werden ein Paar Stellen hinreichen: Eth., P. I, prop. 32. Voluntas non potest vocari causa libera, sed tantum necessaria. — Coroll. 2. Nam voluntas, ut reliqua omnia, causa indiget, a qua ad operandum certo modo determinatur. Ibid., P. II, scholium ultiinum. Quod denique ad quartam objctionem (de Buridani asina) attinet, dico, me omnino concedere, quod homo in tali aequilibrio positus (nempe qui nihil aliud percipit quam sitim et famem, talem cibum et talem potum, qui aeque ab eodistant) fame et siti peribit. Ibid., P. III , prop. 2. Schol. Mentis decreta eadem necessitate in mente oriuntur, ac ideae rerum actu existentium. Qui igitur credunt, se ex libero mentis decreto loqui vel tacere, vel quidquam agere, oculis apertis somniant. — Epist. 62. Unaquaeque res necessario a causa externa aliqua determinatur ad existendum et operandum certa ac determinata rations. Ex. gr. lapis a causa externa, ipsum impellente, certain motus quantitatem accipit, qua postea moveri necessario perget. (Concipe jam lapidem, dum moveri pergit, cogitare et scire, se, quantum potent, conari, ut moveri pergat. Hic sane lapis, quandoquidem sui tantummodo conatus est conscius et minime indifferens, se liberrimum esse et nulla alia de causa in motu perseverare credet, quam quia vult. Atque haec humana illa libertas est, quam omnes habere jactant, et quae in hoc solo sonsistit, quod homines sui appetitus sint conscii, et causarum, a quibus determinantur, ignari. — — His, quaenam mea de libera et coacta necessitate, deque ficta humana libertate sit sententia, satis explicui. Ein boachtenswerther Umstand aber ist es, daß Spinoza zu dieser Einsicht erst in seinen letzten (d. i. vierziger) Jahren gelangt ist, nachdem er früher, im Jahr 1665, als er noch Kartesianer war, in seinen Cogitatis metaphysicis, c. 12, die entgegengesetzte Meinung entschieden und lebhaft vertheidigt und sogar im geraden Widerspruch mit dem soeben angeführten Scholio ultimo Partis II , hinsichtlich des Buridan'schen Sophismas gesagt hatte: Si enim hominem loco asinae ponamus in tali aequilibrio positum, homo, non pro re cogitante, sed pro turpissimo asino erit dabendus, si fame et siti pereat. Die selbe Meinungsveränderung und Bekehrung werde ich weiter unten von zwei andern großen Männern zu berichten haben. Dies beweist, wie schwierig und tief liegend die rechte Einsicht in unser Problem ist. Hume, in seinem Essay on liberty and necessity, aus welchem ich bereits oben eine Stelle beizubringen hatte, schreibt mit der klarsten Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der einzelnen Willensakte, bei gegebenen Motiven, und trägt sie in seiner allgemeinfaßlichen Weise höchst deutlich vor. Er sagt: Thus it appears that the conjunction between motives and voluntary actions is as regular and uniform as that between tne cause and effect in any part of nature. Und weiterhin: It seems almost impossible, therefore, to engage either in science or action of any kind, without acknowledging the doctrine of necessity and his inference from motives to voluntary actions, from character to conduct^1 „So ergiebt sich, daß die Verbindung zwischen Motiven und willkührlichen Handlungen so regelmäßig und gleichförmig ist, wie die zwischen Ursach und Wirkung in irgend einem Theile der Natur nur sein kann.\" - - - „Es scheint demnach fast unmöglich, weder in der Wissenschaft, noch auch in Handlungen irgend einer Art, etwas zu unternehmen, ohne die Lehre von der Nothwendigkeit und jenen Schluß von Motiven auf Willensakte, vom Charakter auf die Handlungsweise, anzuerkennen.\" ). Aber kein Schriftsteller hat die Nothwendigkeit der Willensakte so ausführlich und überzeugend dargethan, wie Priestley, in seinem diesem Gegenstand ausschließlich gewidmeten Werke: the Doctrine of philosophical necessity. Wen dieses überaus klar und faßlich geschriebene Buch nicht überzeugt, dessen Verstand muß durch Vorurtheile wirklich paralysirt sein. Zur Charakterisirung seiner Resultate setze ich einige Stellen her, welche ich nach der zweiten Ausgabe, Birmingham 1782, citire. Vorrede S. XX. There is no absurdity more glaring to my understanding, than the notion of philosophical liberty. — S. 26. Without a miracle, or the intervention of some foreign cause, no volition or action of any man could have been otherwise, than it has been. — S. 37. Though an inclination or affection of mind be not gravity, it influences me and acts upon me as certainly and necessarily, as this power does upon a stone. — S. 43. saving that the will is self-determined gives no ^1 „So ergiebt sich, daß die Verbindung zwischen Motiven und willkührlichen Handlungen so regelmäßig und gleichförmig ist, wie die zwischen Ursach und Wirkung in irgend einem Theile der Natur nur sein kann." - - - „Es scheint demnach fast unmöglich, weder in der Wissenschaft, noch auch in Handlungen irgend einer Art, etwas zu unternehmen, ohne die Lehre von der Nothwendigkeit und jenen Schluß von Motiven auf Willensakte, vom Charakter auf die Handlungsweise, anzuerkennen." ⇑ idea at all, or rather implies an absurdity, viz: that a determination which is an effect, takes place, whithout any cause at all. For exclusive of every thing that comes under the denomination of motive, there is really nothing at all left, to produce the determination. Let a man use what words be pleases, he can have no more conception how we can sometimes be determined by motives, and sometimes without any motive, than he can have of a scale being sometimes weighed down by weights, and sometimes by a kind of substance that has no weight at all, which, whatever it be in itself, must, with respect to the scale be nothing. — S. 66. In proper philosophical language, the motive ought to be call'd the proper cause of the action. It is as much so as any thing in nature is the cause of any thing else. — S. 84. It will never be in our power to choose two things, when all the previous circumstances are the very same. — S. 90. A man indeed, when he reproaches himself for any particular action in his passed conduct, may fancy that, if he was in the same situation again, he would have acted differently. But this is a mere deception; and if he examines himself strictly, and takes in all circumstances, be may be satisfied that, with the same inward disposition ok mind, and with precisely the same view ok things, that be had then, and exclusive ok oll others, that he has acquired by reflection since, he could not have acted otherwise than he did. — S. 287. In short, there is no choice in the case, but of the doctrine of necessity or absolute nonsense^1 S. X X . „Für meinen Verstand giebt es keine handgreiflichere Absurdität, als den Begriff der moralischen Freiheit.\" - S. 26. „Ohne ein Wunder, oder die Dazwischenkunft irgend einer äußern Ursach, hat kein Willensakt oder Handlung irgend eines Menschen anders ausfallen können, als sie ausgefallen ist.\" - S. 37. „Obwohl eine Neigung oder Bestimmung meines Gemüthes nicht die Schwerkraft ist; so hat sie doch einen ebenso sichern und nothwendigen Einfluß und Wirkung auf mich, wie jene Kraft auf einen Stein.\" - S. 43. „Der Ausdruck, daß der Wille ein Sich selbst bestimmendes sei, giebt gar keinen Begriff, oder vielmehr enthält eine Absurdität, nämlich diese, daß eine Bestimmung, welche eine Wirkung ist, eintritt ohne irgend eine Ursache. Denn ausschließlich von Allem, was unter der Benennung Motiv verstanden wird, bleibt in der That gar nichts übrig, was jene Bestimmung hervorbringen könnte. Gebrauchte Einer was für Worte er will; einen Begriff davon, daß wir bisweilen durch Motive, bisweilen aber ohne alle Motive zu etwas bestimmt würden, kann er doch nicht mehr haben, als davon, daß eine Waagschaale bisweilen durch Gewichte herabgezogen würde, bisweilen aber durch eine Art Substanz, die gar kein Gewicht hätte und die, was immer sie auch an sich selbst sein möchte, in Hinsicht auf die Waagschaale nichts wäre.\" — S. 66. „ Im angemessenen philosophischen Ausdruck sollte das Motiv die eigentliche Ursache der Handlung genannt werden: denn die ist es so sehr, wie irgend etwas in der Natur die Ursache eines andern ist.\" — S. 84. „Nie wird es in unserer Macht stehen, zwei verschiedene Wahlen zu treffen, wenn alle vorhergängigen Umstände genau dieselben sind.\" — S. 90. „Allerdings kann ein Mensch, der sich über irgend eine bestimmte Handlung in seinem vergangenen Lebenslaufe Vorwürfe macht, sich einbilden, daß wenn er wieder in derselben Lage wäre, er anders handeln würde. Allein dies ist bloße Täuschung: wenn er sich strenge prüft und alle Umstände in Anschlag bringt; so kann er sich überzeugen, daß, bei derselben innern Stimmung und genau derselben Ansicht der Dinge, die er damals hatte, mit Ausschluß aller andern seitdem durch Ueberlegung erlangten Ansichten, er nicht anders handeln konnte, als wie er gehandelt hat.\" - S. 287. „Kurzum, es liegt hier keine andere Wahl vor, als die zwischen der Lehre von der Nothwendigkeit, oder absolutem Unsinn.\" ). __ ^1 S. X X . „Für meinen Verstand giebt es keine handgreiflichere Absurdität, als den Begriff der moralischen Freiheit." - S. 26. „Ohne ein Wunder, oder die Dazwischenkunft irgend einer äußern Ursach, hat kein Willensakt oder Handlung irgend eines Menschen anders ausfallen können, als sie ausgefallen ist." - S. 37. „Obwohl eine Neigung oder Bestimmung meines Gemüthes nicht die Schwerkraft ist; so hat sie doch einen ebenso sichern und nothwendigen Einfluß und Wirkung auf mich, wie jene Kraft auf einen Stein." - S. 43. „Der Ausdruck, daß der Wille ein Sich selbst bestimmendes sei, giebt gar keinen Begriff, oder vielmehr enthält eine Absurdität, nämlich diese, daß eine Bestimmung, welche eine Wirkung ist, eintritt ohne irgend eine Ursache. Denn ausschließlich von Allem, was unter der Benennung Motiv verstanden wird, bleibt in der That gar nichts übrig, was jene Bestimmung hervorbringen könnte. Gebrauchte Einer was für Worte er will; einen Begriff davon, daß wir bisweilen durch Motive, bisweilen aber ohne alle Motive zu etwas bestimmt würden, kann er doch nicht mehr haben, als davon, daß eine Waagschaale bisweilen durch Gewichte herabgezogen würde, bisweilen aber durch eine Art Substanz, die gar kein Gewicht hätte und die, was immer sie auch an sich selbst sein möchte, in Hinsicht auf die Waagschaale nichts wäre." — S. 66. „ Im angemessenen philosophischen Ausdruck sollte das Motiv die eigentliche Ursache der Handlung genannt werden: denn die ist es so sehr, wie irgend etwas in der Natur die Ursache eines andern ist." — S. 84. „Nie wird es in unserer Macht stehen, zwei verschiedene Wahlen zu treffen, wenn alle vorhergängigen Umstände genau dieselben sind." — S. 90. „Allerdings kann ein Mensch, der sich über irgend eine bestimmte Handlung in seinem vergangenen Lebenslaufe Vorwürfe macht, sich einbilden, daß wenn er wieder in derselben Lage wäre, er anders handeln würde. Allein dies ist bloße Täuschung: wenn er sich strenge prüft und alle Umstände in Anschlag bringt; so kann er sich überzeugen, daß, bei derselben innern Stimmung und genau derselben Ansicht der Dinge, die er damals hatte, mit Ausschluß aller andern seitdem durch Ueberlegung erlangten Ansichten, er nicht anders handeln konnte, als wie er gehandelt hat." - S. 287. „Kurzum, es liegt hier keine andere Wahl vor, als die zwischen der Lehre von der Nothwendigkeit, oder absolutem Unsinn." ⇑ Nun ist zu bemerken, daß es dem Priestley gerade so gegangen ist, wie dem Spinoza und noch einem sogleich anzuführenden sehr großen Manne. Priestley sagt nämlich in der Vorrede zur ersten Ausgabe, S. XXVII: I was not however a ready convert to the doctrine of necessity. Like Dr. Hartley himself, I gave up my liberty with great reluctance, and in a long correspondence, which I once had on the subject, I maintained very strenuously the doctrine of liberty, and did not at all yield to the arguments then proposed to me.^1 Ich bin jedoch nicht leicht zu der Lehre von der Nothwendigkeit zu bekehren gewesen. Wie Dr. Hartley selbst habe ich meine Freiheit nur mit großem Widerstreben aufgegeben: in einem langen Briefwechsel, den ich einst über diesen Gegenstand geführt habe, behaupte ich sehr eifrig die Lehre von der Freiheit und gab keineswegs den Gründen nach, die man mir entgegensetzte.\" ^1 Ich bin jedoch nicht leicht zu der Lehre von der Nothwendigkeit zu bekehren gewesen. Wie Dr. Hartley selbst habe ich meine Freiheit nur mit großem Widerstreben aufgegeben: in einem langen Briefwechsel, den ich einst über diesen Gegenstand geführt habe, behaupte ich sehr eifrig die Lehre von der Freiheit und gab keineswegs den Gründen nach, die man mir entgegensetzte." ⇑ Der dritte große Mann, dem es ebenso ergangen, ist Voltaire, welcher es mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit und Naivetät berichtet. Nämlich in seinem Traité de métaphysique, chap. 7, hatte er die sogenannte Willensfreiheit ausführlich und lebhaft vertheidigt. Allein in seinem, mehr als vierzig Jahre später geschriebenen Buche: Le philosophe ignorant, lehrt er die strenge Necessitation der Willensakte, im 13. Kapitel, welches er so beschließt: Archimède est également nécessité de rester dans sa chambre, (quand on l'y enferme, et quand il est si fortement occupé d'un problème, qu'il ne reçoit pas I'idée de sortir: Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. L'ignorant qui pense ainsi n'a pas toujours pensé de même mais il est enfin contraint de se rendre. Im darauf folgenden Buche: Le principe d'action, sagt er chap. 13: Une boule, qui en pousse une autre, un chien de chasse, qui court nécessairement et volontairement après un cerf, ce cerf, qui franchit un fossé immense avec non moins de nécessité et de volonté: tout cela n'est pas plus invinciblement détermine que nous le sommes a tout ce que nous fesons. Diese gleichmäßige Bekehrung dreier so höchst eminenter Köpfe zu unserer Einsicht muß denn doch wohl Jeden stutzig machen, der mit dem gar nicht zur Sache redenden „aber ich kann doch tun was ich will" seines einfältigen Selbstbewußtseyns wohlgegründete Wahrheiten anzufechten unternimmt. Nach diesen seinen nächsten Vorgängern darf es uns nicht wundern, daß Kant die Nothwendigkeit, mit welcher der empirische Charakter durch die Motive zu Handlungen bestimmt wird, als eine, wie bei ihm, so auch bei Andern bereits ausgemachte Sache nahm und sich nicht damit aufhielt, sie von Neuem zu beweisen. Seine „Ideen zu einer allgemeinen Geschichte" hebt er so an: „Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen möge; so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl, als jede andere Naturbegebenheit, nach allgemeinen Natur-Gesetzen bestimmt." — In der Kritik der reinen Vernunft (S. 548 der ersten, oder S. 577 der fünften Auflage) sagt er: „Weil der empirische Charakter selbst aus den Erscheinungen als Wirkung, und aus der Regel derselben, welche Erfahrung an die Hand giebt, gezogen werden muß; so sind alle Handlungen des Menschen, in der Erscheinung, aus seinem empirischen Charakter und den mitwirkenden andern Ursachen nach der Ordnung der Natur bestimmt: und wenn wir alle Erscheinungen seiner Willkühr „bis auf den Grund erforschen könnten; so würde es keine „einzige menschliche Handlung geben, die wir nicht mit Gewißheit vorhersagen und aus ihren vorhergehenden Bedingungen als nothwendig erkennen könnten. In Ansehung „dieses empirischen Charakters giebt es also keine Freiheit, „und nach diesem können wir doch allein den Menschen befrachten, wenn wir lediglich beobachten und, wie es in der Anthropologie geschieht, von seinen Handlungen die bewegenden Ursachen physiologisch erforschen wollen." — Ebendaselbst S. 798 der ersten, oder S. 826 der fünften Auflage heißt es: „Der Wille mag auch frei sein, so kann dies doch nur die intelligible Ursache unsers Wollens angehen. Denn, was die Phänomene der Aeußerungen desselben, d. i. die Handlungen betrifft, so müssen wir, nach einer unverletzlichen Grundmaxime, ohne welche wir keine Vernunft im empirischen Gebrauch ausüben können, sie niemals anders, als alle übrigen Erscheinungen der Natur, nämlich nach unwandelbaren Gesetzen derselben erklären." — Ferner in der Kritik der praktischen Vernunft, S. 177 der vierten Auflage, oder S. 230 der Rosenkranzischen: „Man kann also einräumen, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere sowohl, als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, ingleichen alle auf diese wirkenden äußeren Veranlassungen, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft, mit Gewißheit, so wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis ausrechnen könnte." Hieran aber knüpft er seine Lehre vom Zusammenbestehen der Freiheit mit der Notwendigkeit, vermöge der Unterscheidung des intelligibeln Charakters vom empirischen, auf welche Ansicht, da ich mich gänzlich zu ihr bekenne, ich weiter unten zurückkommen werde. Kant hat sie zwei Mal vorgetragen, nämlich in der Kritik der reinen Vernunft, S. 532—554 der ersten, oder S. 560—582 der fünften Auflage, noch deutlicher aber in der Kritik der praktischen Vernunft, S. 169—179 der vierten Auflage, oder S. 224—231 der Rosenkranzischen: diese überaus tief gedachten Stellen muß Jeder lesen, der eine gründliche Erkenntniß von der Vereinbarkeit der menschlichen Freiheit mit der Notwendigkeit der Handlungen erlangen will. — Von den Leistungen aller dieser edeln und ehrwürdigen Vorgänger unterscheidet gegenwärtige Abhandlung des Gegenstandes sich bis Hieher hauptsächlich in zwei Punkten: erstlich dadurch, daß ich, auf Anleitung der Preisfrage, die innere Wahrnehmung des Willens im Selbstbewußten, von der äußern streng gesondert und jede von beiden für sich betrachtet habe, wodurch die Aufdeckung der Quelle der auf die meisten Menschen so unwiderstehlich wirkenden Täuschung allererst möglich geworden; zweitens dadurch, daß ich den Willen im Zusammenhange mit der gesammten übrigen Natur in Betracht gezogen habe, was Keiner vor mir gethan, und wodurch der Gegenstand mit derjenigen Gründlichkeit, methodischen Einsicht und Ganzheit, deren er fähig ist, abgehandelt werden konnte. Jetzt noch ein Paar Worte über einige Schriftsteller, die nach Kant geschrieben haben, welche ich jedoch nicht als meine Vorgänger betrachte. Von der soeben belobten, höchst wichtigen Lehre Kants, über den intelligibeln und empirischen Charakter, hat eine erläuternde Paraphrase Schelling geliefert, in seiner „Untersuchung über die menschliche Freiheit", S. 465—471. Diese Paraphrase kann, durch die Lebhaftigkeit ihres Kolorits, dienen, Manchem die Sache faßlicher zu machen, als die gründliche, aber trockene Kantische Darstellung es vermag. Inzwischen darf ich derselben nicht erwähnen, ohne zur Ehre der Wahrheit und Kants zu rügen, daß Schelling hier, wo er eine der wichtigsten und bewunderungswürdigsten, ja, meines Erachtens, die tiefsinnigste aller Kantischen Lehren vorträgt, nicht deutlich ausspricht, daß, was er jetzt darlegt, dem Inhalte nach, Kanten angehört, viel mehr sich so ausdrückt, daß die allermeisten Leser, als welchen der Inhalt der weitläufigen schwierigen Werke des großen Mannes nicht genau gegenwärtig ist, wähnen müssen, hier Schellings eigene Gedanken zu lesen. Wie sehr hierin der Erfolg der Absicht entsprochen hat, will ich nur durch einen Beleg aus vielen zeigen. Noch heutigen Tages sagt ein junger Professor der Philosophie in Halle, Hr. Erdmann, in seinem Buche von 1837, betitelt „Leib und Seele", S. 101: „wenn auch Leibniz, ähnlich wie Schelling in seiner Abhandlung über die Freiheit, die Seele vor aller Zeit sich bestimmen läßt" u. s. w. Schelling steht also hier zu Kant in der glücklichen Lage des Amerigo zum Kolumbus: mit seinem Namen wird die fremde Entdeckung gestempelt. Er hat es aber auch seiner Klugheit und nicht dem Zufall zu danken. Denn er hebt, S. 465, an: „Ueberhaupt hat erst der Idealismus die „Lehre von der Freiheit in dasjenige Gebiet erhoben" u. s. w., und nun folgen unmittelbar die Kantischen Gedanken. Also statt hier, der Redlichkeit gemäß, zu sagen Kant, sagt er klüglich der Idealismus: unter diesem vieldeutigen Ausdruck wird jedoch hier Jeder Fichte's, und Schel- lings erste, Fichtianische Philosophie verstehen, nicht aber Kants Lehre; da dieser gegen die Benennung Idealismus für seine Philosophie protestirt (z. B. Prolegomena, S. 51, und S. 155, Rosenkr.), und sogar seiner zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, S. 274, eine „Widerlegung des Idealismus" eingefügt hatte. Auf der folgenden Seite erwähnt nun Schelling sehr klüglich, in einer beiläufigen Phrase, den „Kantischen Begriff", um nämlich Die zu beschwichtigen, welche schon wissen, daß es Kantischer Reichthum ist, den man hier so pomphaft als eigene Waare auskramt. Dann aber wird noch gar S. 472, aller Wahrheit und Gerechtigkeit zum Trotz, gesagt, Kant hätte sich nicht zu derjenigen Ansicht in der Theorie erhoben, u. s. w.; während aus den beiden oben von mir zum Nachlesen empfohlenen, unsterblichen Stellen Kants Jeder deutlich sehen kann, daß gerade diese Ansicht ihm allein ursprünglich angehört, welche ohne ihn noch tausend solche Köpfe, wie die Herren Fichte und Schelling nimmermehr zu fassen fähig gewesen wären. Da ich hier von der Abhandlung Schellings zu sprechen hatte, durfte ich über diesen Punkt nicht schweigen, sondern habe nur meine Pflicht erfüllt gegen jenen großen Lehrer der Menschheit, der ganz allein neben Goethe der gerechte Stolz der Deutschen Nation ist, indem ich was unwidersprechlich ihm allein angehört ihm vindicire; — zumal in einer Zeit, von der ganz eigentlich Goethe's Wort gilt: „das Knabenvolk ist Herr der Bahn". — Uebrigens hat Schelling, in der selben Abhandlung, ebenso wenig Anstand genommen, die Gedanken, ja, die Worte Jakob Böhme's sich zuzueignen, ohne seine Quelle zu verrathen. Außer dieser Paraphrase Kantischer Gedanken enthalten jene „Untersuchungen über die Freiheit" nichts, was dienen könnte, uns neue oder gründliche Aufklärungen über dieselbe zu verschaffen. Dies kündigt sich auch schon gleich Anfangs durch die Definition an: die Freiheit sei „ein Vermögen des Guten und Bösen". Für den Katechismus mag eine solche Definition tauglich sein: in der Philosophie aber ist damit nichts gesagt und folglich auch nichts anzufangen. Denn Gutes und Böses sind weit davon entfernt, einfache Begriffe (notions simplices) zu sein, die, an sich selbst klar, keiner Erklärung, Feststellung und Begründung bedürften. Ueberhaupt handelt nur ein kleiner Theil jener Abhandlung von der Freiheit: ihr Hauptinhalt ist vielmehr ein ausführlicher Bericht über einen Gott, mit welchem der Herr Verfasser intime Bekanntschaft verräth, da er uns sogar dessen Entstehung beschreibt; nur ist zu bedauern, daß er mit keinem Worte erwähnt, wie er denn zu dieser Bekanntschaft gekommen sei. Den Anfang der Abhandlung macht ein Gewebe von Sophismen, deren Seichtigkeit Jeder erkennen wird, der sich durch die Dreistigkeit des Tons nicht einschüchtern läßt. Seitdem und in Folge dieses und ähnlicher Erzeugnisse ist nun in der Deutschen Philosophie an die Stelle deutlicher Begriffe und redlichen Forschens „intellektuale Anschauung" und „absolutes Denken" getreten: Imponiren, Verdutzen, Mystifiziren, dem Leser durch allerlei Kunstgriffe Sand in die Augen streuen, ist die Methode geworden, und durchgängig leitet statt der Einsicht die Absicht den Vortrag. Durch welches Alles denn die Philosophie, wenn man sie noch so nennen will, mehr und mehr und immer tiefer hat sinken müssen, bis sie zuletzt die tiefste Stufe der Erniedrigung erreichte in der Minister-Kreatur Hegel: dieser, um die durch Kant errungene Freiheit des Denkens wieder zu ersticken, machte nunmehr die Philosophie, die Tochter der Vernunft und künftige Mutter der Wahrheit, zum Werkzeug der Staatszwecke, des Obskurantismus und protestantischen Jesuitismus: um aber die Schmach zu verhüllen und zugleich die größtmöglichste Ver- dlnnmung der Köpfe herbeizuführen, zog er den Deckmantel des hohlsten Wortkrams und des unsinnigsten Gallimathias, der jemals, wenigstens außer dem Tollhause, gehört worden, darüber. In England und Frankreich steht die Philosophie, im Ganzen genommen, fast noch da, wo Locke und Gondillac sie gelassen haben. Maine de Biran, von seinem Herausgeber, Hrn. Cousin,le premier métaphysicien Francaisde mon tems genannt, ist, in seinen 1834 erschienenen Nouvelles considérations du physique et moral, ein fanatischer Bekenner des liberi arbitrii indifferentiae, und nimmt es als eine Sache, die sich ganz und gar von selbst versteht. Nicht anders machen es manche der deutschen neueren, philosophischen Skribenten: das liberum arbitrium indifferentiae, unter dem Namen „sittliche Freiheit", tritt als eine ausgemachte Sache bei ihnen auf, gerade als ob alle die oben angeführten großen Männer nie dagewesen wären. Sie erklären die Freiheit des Willens für unmittelbar im Selbstbewußtseyn gegeben und dadurch so unerschütterlich festgestellt, daß alle Argumente dagegen nichts Anderes, als Sophismen sein können. Diese erhabene Zuversicht entspringt bloß daraus, daß die Guten gar nicht wissen, was Freiheit des Willens ist und bedeutet; sondern, in ihrer Unschuld, nichts Anderes darunter verstehen, als die in unserm zweiten Abschnitt analysirte Herrschaft des Willens über die Glieder des Leibes, an welcher doch wohl nie ein vernünftiger Mensch gezweifelt hat und deren Ausdruck eben jenes „ich kann thun was ich will" ist. Dies meynen sie ganz ehrlich, sei die Freiheit des Willens, und pochen darauf, daß sie über allen Zweifel erhaben ist. Es ist eben der Stand der Unschuld, in welchen, nach so vielen großen Vorgängern, die Hegelsche Philosophie den deutschen, denkenden Geist zurückversetzt hat. Leuten dieses Schlages könnte man freilich zurufen: „Seid ihr nicht wie die Weiber, die beständig Zurück nur kommmen auf ihr erstes Wort, Wenn man Vernunft gesprochen stundenlang?" Jedoch mögen, bei Manchen unter ihnen, die oben angedeuteten theologischen Motive im Stillen wirksam sein. Und dann wieder die medicinischen, zoologischen, historischen, politischen und belletristischen Schriftsteller unserer Tage, wie äußerst gern ergreifen sie jede Gelegenheit, um die „Freiheit des Menschen", die „sittliche Freiheit" zu erwähnen! Sie dünken sich etwas damit. Auf eine Erklärung derselben lassen sie sich freilich nicht ein: aber wenn man sie examiniren dürfte, würde man finden, daß sie dabei entweder gar nichts, oder aber unser altes, ehrliches, wohlbekanntes liberum arbitrium indifferentiae denken, in so vornehme Redensarten sie es auch kleiden möchten, also einen Begriff, von dessen Unstatthaftigkeit den großen Haufen zu überzeugen, wohl nimmer gelingen wird, von welchem jedoch Gelehrte sich hüten sollten, mit so viel Unschuld zu reden. Daher eben giebt es auch einige Verzagte unter ihnen, welche sehr belustigend sind, indem sie nicht mehr sich unterstehen, von der Freiheit des Willens zu reden, sondern, um es fein zu machen, statt dessen sagen „Freiheit des Geistes" und damit durchzuschleichen hoffen. Was sie sich dabei denken, weiß ich glücklicherweise dem mich fragend ansehenden Leser anzugeben: Nichts, rein gar nichts, — als daß es eben, nach guter deutscher Art und Kunst, ein unentschiedener, ja eigentlich nichtssagender Ausdruck ist, welcher einen, ihrer Leerheit und Feigheit erwünschten Hinterhalt gewährt, zum Entwischen. Das Wort „Geist", eigentlich ein tropischer Ausdruck, bezeichnet überall die intellektuellen Fähigkeiten, im Gegensatz des Willens: diese aber sollen in ihrem Wirken durchaus nicht frei sein, sondern sich zunächst den Regeln der Logik, sodann aber dem jedesmaligen Objekt ihres Erkennens anpassen, fügen und unterwerfen, damit sie rein, d. h. objektiv auffassen, und es nie heiße stat pro rations voluntas. Ueberhaupt ist dieser „Geist", der in jetziger deutscher Litteratur sich überall herumtreibt, ein durchaus verdächtiger Geselle, den man daher, wo ersichbetreffen läßt, nach seinem Paß fragen soll. Der mit Feigheit verbundenen Gedankenarmuth als Maske zu dienen, ist sein häufigstes Gewerbe. Uebrigens ist das Wort Geist bekanntlich mit dem Worte Gas verwandt, welches, aus dem Arabischen und der Alchimie stammend, Dunst oder Luft bedeutet, eben wie auch Spiritus, πνευμα, animus, verwandt mit άεμος. Besagtermaaßen also steht es hinsichtlich unsers Themas, in der philosophischen und in der weitern gelehrten Welt, nach Allem, was die angeführten großen Geister darüber gelehrt haben; woran sich abermals bestätigt, daß nicht allein die Natur, zu allen Zeiten, nur höchst wenige wirkliche Denker, als seltene Ausnahmen, hervorgebracht hat; sondern diese Wenigen selbst stets auch nur für sehr Wenige dagewesen sind. Daher eben behaupten Wahn und Irrthum fortwährend die Herrschaft. - Bei einem moralischen Gegenstände ist auch das Zeugniß der großen Dichter von Gewicht. Sie reden nicht nach systematischer Untersuchung, aber ihrem Tiefblick liegt die menschliche Natur offen: daher treffen ihre Aussagen unmittelbar die Wahrheit. — Im Shakespeare, Measure for measure, A. 2, Sc. 2, bittet Isabella den Reichsverweser Angelo um Gnade für ihren zum Tode verurtheilten Bruder: Angelo. I will not do it. Isab. But can you if you would? Ang. Look, what I will not, that I cannot do ^1 Angelo. Ich will es nicht thun. Isabella. Aber könntet Ihr's, wenn Ihr wolltet? Angelo. Seht, was ich nicht will, das kann ich nicht. ). In Twelfth night, A. 1, heißt es: Fate show the force, ourselves we do not owe, What is decree ́d must be, and be this so^2 Jetzt kannst du deine Macht, o Schicksal, zeigen: Was sein soll muß geschehn, und Keiner ist sein eigen. ). Auch Walter Scott, dieser große Kenner und Maler des menschlichen Herzens und seiner geheimsten Regungen, hat jene tief liegende Wahrheit rein zu Tage gefördert, in seinem St. Ronans "Well, Vol. 3, chap 6. Er stellt eine sterbende reuige Sünderin dar, die auf dem Sterbebette ihr geängstetes ^1 Angelo. Ich will es nicht thun. Isabella. Aber könntet Ihr's, wenn Ihr wolltet? Angelo. Seht, was ich nicht will, das kann ich nicht. ⇑ ^2 Jetzt kannst du deine Macht, o Schicksal, zeigen: Was sein soll muß geschehn, und Keiner ist sein eigen. ⇑ Gewissen durch Geständnisse zu erleichtern sucht, und mitten unter diesen läßt er sie sagen: Go, and leave me to my fate; I am the most detestable wretch, that ever liv'd, — detestable to myself, worst of all; because even in my penitence there is a secret whisper that tells me, that were I as I have been, I would again act over all the wickedness I have done, and much worse. Oh! for Heavens assistance, to trush the wicked thought!^1 „Geht und überlaßt mich meinem Schicksale. Ich bin das elendste und abscheulichste Geschöpf, das je gelebt hat, — mir selber am abscheulichsten. Denn mitten in meiner Reue flüstert etwas mir heimlich zu, daß, wenn ich wieder wäre, wie ich gewesen bin, ich alle Schlechtigkeiten, die ich begangen habe, abermals begehen würde, ja noch schlimmere dazu. O, um des Himmels Beistand, den nichtswürdigen Gedanken zu ersticken.\" ) Einen Beleg zu dieser dichterischen Darstellung liefert folgende ihr parallele Thatsache, welche zugleich die Lehre von der Konstanz des Charakters auf das Stärkste bestätigt. Sie ist, 1845, aus der französischen Zeitung La Presse in die Times, vom 2. Juli 1845, übergegangen, woraus ich sie übersetze. Die Überschrift lautet: Militärische Hinrichtung zu Oran. „Am 24. März war der Spanier Aguilar, alias Gomez, zum Tode verurtheilt worden. Am Tage vor der Hinrichtung sagte er, im Gespräch mit seinem Kerkermeister: Ich bin nicht so schuldig, wie man mich dargestellt hat: ich bin angeklagt, 30 Mordthaten begangen zu haben; während ich doch nur 26 begangen habe. Von Kindheit auf durstete ich nach Blut: als ich 7 1/2 Jahr alt war, erstach ich ein Kind. Ich habe eine schwangere Frau gemordet, und in späterer Zeit einen Spanischen Offizier, in Folge wovon ich mich genöthigt sah, aus Spanien zu entfliehen. Ich flüchtete nach Frankreich, woselbst ich zwei Verbrechen begangen habe, ehe ich in die Fremdenlegion trat. Unter allen meinen Verbrechen bereue ich am meysten Folgendes: Im Jahre 1841 nahm ich, an der Spitze meiner Kompagnie, einen deputirten General-Commissair, der von ^1 „Geht und überlaßt mich meinem Schicksale. Ich bin das elendste und abscheulichste Geschöpf, das je gelebt hat, — mir selber am abscheulichsten. Denn mitten in meiner Reue flüstert etwas mir heimlich zu, daß, wenn ich wieder wäre, wie ich gewesen bin, ich alle Schlechtigkeiten, die ich begangen habe, abermals begehen würde, ja noch schlimmere dazu. O, um des Himmels Beistand, den nichtswürdigen Gedanken zu ersticken." ⇑ einem Sergeanten, einem Koporal und 7 Mann eskortirt war, gefangen: ich ließ sie alle enthaupten. Der Tod dieser Leute lastet schwer auf mir: ich sehe sie in meinen Träumen, und morgen werde ich sie erblicken in den mich zu erschießen beorderten Soldaten. Nichtsdestoweniger würde ich,wenn ich meine Freiheit wieder erhielte, noch Andere morden." Auch folgende Stelle in Goethe's Iphigenia (A. 4, Sc. 2) gehört Hieher: Arkas: Denn du hast nicht der Treue Rath geachtet. Iphigenia. Was ich vermochte, hab' ich gern gethan. Arkas. Noch änderst du den Sinn zur rechten Zeit. Iphigenia. Das steht nun einmal nicht in unsrer Macht. Auch eine berühmte Stelle in Schillers Wallenstein spricht unsere Grundwahrheit aus: „Des Menschen Thaten und Gedanken, wißt! Sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen. Die inn're Welt, sein Mikrokosmus, ist Der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen. Sie sind nothwendig, wie des Baumes Frucht, Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln. Hab' ich des Menschen Kern erst untersucht, So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln." V. Schluß und höhere Ansicht Alle jene sowohl poetischen, als philosophischen, glorreichen Vorgänger in der von mir verfochtenen Wahrheit habe ich hier gern in Erinnerung gebracht. Inzwischen sind nicht Autoritäten, sondern Gründe die Waffe des Philosophen; daher ich nur mit diesen meine Sache geführt habe, und doch hoffe, ihr eine solche Evidenz gegeben zu haben, daß ich jetzt wohl berechtigt bin, die Folgerung a non posse ad non esse zu ziehen; wodurch die oben, bei Untersuchung des Selbstbewußtseyns, direkt und tatsächlich, folglich a posteriori begründete Verneinung der von der Königlichen Societät aufgestellten Frage jetzt auch unmittelbar und a priori begründet ist: indem was überhaupt nicht vorhanden ist, auch nicht im Selbstbewußtseyn Data haben kann, aus denen es sich beweisen ließe. Wenn nun auch die hier verfochtene Wahrheit zu denen gehören mag, welche den vorgefaßten Meinungen der kurzsichtigen Menge entgegen, ja, dem Schwachen und Unwissenden anstößig sein können; so hat mich dies nicht abhalten dürfen, sie ohne Umschweife und ohne Rückhalt darzulegen: angesehen, daß ich hier nicht zum Volke, sondern zu einer erleuchteten Akademie rede, welche ihre sehr zeitgemäße Frage nicht aufgestellt hat zur Befestigung des Vorurtheils, sondern zur Ehre der Wahrheit. — Ueberdies wird der redliche Wahrheitsforscher, so lange es sich noch darum handelt, eine Wahrheit festzustellen und zu beglaubigen, stets ganz allein auf ihre Gründe und nicht auf ihre Folgen sehen, als wozu die Zeit dann sein wird, wann sie selbst feststeht. Unbekümmert um die Folgen, allein die Gründe prüfen und nicht erst fragen, ob eine erkannte Wahrheit auch mit dem System unserer übrigen Überzeugungen in Einklang stehe oder nicht, — dies ist es, was schon Kant empfiehlt, dessen Worte ich hier zu wiederholen mich nicht entbrechen kann: „Dies bestärkt die schon von Andern erkannte und gepriesene Maxime, in jeder wissenschaftlichen Untersuchung mit aller möglichen Genauigkeit und Offenheit seinen Gang ungestört fortzusetzen, ohne sich an das zu kehren, wowider sie außer ihrem Felde etwan verstoßen möchte, sondern sie für sich allein, so viel man kann, wahr und vollständig zu vollführen. Oeftere Beobachtung hat mich überzeugt, daß, wenn man dieses Geschäft zu Ende gebracht hat, das, was in der Hälfte desselben, in Betracht anderer Lehren außerhalb, mir bisweilen sehr bedenklich schien, wenn ich diese Bedenklichkeit nur so lange aus den Augen ließ und bloß auf mein Geschäft Acht habe, bis es vollendet sei, endlich auf unerwartete Weise mit demjenigen vollkommen zusammenstimmte, was sich ohne die mindeste Rücksicht auf jene Lehren, ohne Parteilichkeit und Vorliebe für dieselben, von selbst gefunden hatte. Schriftsteller würden sich manche Irrthümer, manche verlorene Mühe (weil sie auf Blendwerk gestellt war) ersparen, wenn sie sich nur entschließen könnten, mit etwas mehr Offenheit zu Werke zu gehen." (Kritik der praktischen Vernunft, S. 190 der vierten Auflage, oder S. 239 der Rosenkranzischen.) Unsere metaphysischen Kenntnisse überhaupt sind doch wohl noch himmelweit davon entfernt, eine solche Gewißheit zu haben, daß man irgend eine gründlich erwiesene Wahrheit darum verwerfen sollte, weil ihre Folgen nicht zu jenen passen. Vielmehr ist jede errungene und festgestellte Wahrheit ein eroberter Theil des Gebiets der Probleme des Wissens überhaupt und ein fester Punkt, die Hebel anzulegen, welche andere Lasten bewegen werden, ja, von welchem aus man sich, in günstigen Fällen, mit einem Male zu einer höheren Ansicht des Ganzen, als man bisher gehabt, emporschwingt. Denn die Verkettung der Wahrheiten ist in jedem Gebiete des Wissens so groß, daß wer sich in den ganz sichern Besitz einer einzigen gesetzt hat, allenfalls hoffen darf, von da aus das Ganze zu erobern. Wie bei einer schwierigen algebraischen Aufgabe eine einzige positiv gegebene Größe von unschätzbarem Werth ist, weil sie die Lösung möglich macht; so ist, in der schwierigsten aller menschlichen Aufgaben, welches die Metaphysik ist, die sichere, a priori und a posteriori bewiesene Erkenntniß der strengen Nothwendigkeit, mit der aus gegebenem Charakter und gegebenen Motiven die Thaten erfolgen, ein solches unschätzbares Datum, von welchem ganz allein ausgehend man zur Lösung der gesammten Aufgabe gelangen kann. Daher muß Alles, was nicht eine feste, wissenschaftliche Beglaubigung aufzuweisen hat, einer solchen wohlbegründeten Wahrheit, wo es ihr im Wege steht, weichen, nicht aber diese jenem: und keineswegs darf sie sich zu Akkomodationen und Beschränkungen verstehen, um sich mit unbewiesenen und vielleicht irrigen Behauptungen in Einklang zu setzen. Noch eine allgemeine Bemerkung sei mir hier erlaubt. Ein Rückblick auf unser Resultat giebt zu der Betrachtung Anlaß, daß in Hinsicht der zwei Probleme, welche schon im vorigen Abschnitt als die tiefsten der Philosophie der Neueren, hingegen den Alten nicht deutlich bewußt, bezeichnet wurden, — nämlich das Problem von der Willensfreiheit und das vom Verhältnis zwischen Idealem und Realem, — der gesunde, aber rohe Verstand nicht nur inkompetent ist; sondern sogar einen entschiedenen natürlichen Hang zum Irrthum hat, von welchem ihn zurückzubringen, es einer schon weit gediehenen Philosophie bedarf. Es ist ihm nämlich wirklich natürlich, hinsichtlich auf das Erkennen viel zu viel dem Objekt beizumessen; daher es Locke's und Kants bedurfte, um zu zeigen, wie sehr viel davon aus dem Subjekt entspringt. Hinsichtlich auf das Wollen hingegen hat er umgekehrt den Hang, viel zu wenig dem Objekt und viel zu viel dem Subjekt beizulegen, indem er dasselbe ganz und gar von diesem ausgehen läßt, ohne den im Objekt gelegenen Faktor, die Motive, gehörig in Anschlag zu bringen, welche eigentlich die ganze individuelle Beschaffenheit der Handlungen bestimmen, während nur ihr Allgemeines und Wesentliches, nämlich ihr moralischer Grundcharakter, vom Subjekt ausgeht. Eine solche dem Verstande natürliche Verkehrtheit in spekulativen Forschungen darf uns jedoch nicht wundern; da er ursprünglich allein zu praktischen und keineswegs zu spekulativen Zwecken bestimmt ist.- Wenn wir nun, in Folge unserer bisherigen Darstellung, alle Freiheit des menschlichen Handelns völlig aufgehoben und dasselbe als durchweg der strengsten Notwendigkeit unterworfen erkannt haben; so sind wir eben dadurch auf den Punkt geführt, auf welchem wir die wahre moralische Freiheit , welche höherer Art ist, werden begreifen können. Es giebt nämlich noch eine Thatsache des Bewußtseyns, von welcher ich bisher, um den Gang der Untersuchung nicht zu stören, gänzlich abgesehen habe. Diese ist das völlig deutliche und sichere Gefühl der Verantwortlichkeit für Das was wir thun, der Zurechnungsfähigkeit für unsere Handlungen, beruhend auf der unerschütterlichen Gewißheit, daß wir selbst die Täter unserer Thaten sind. Vermöge dieses Bewußtseyns kommt es Keinem, auch dem nicht, der von der im Bisherigen dargelegten Nothwendigkeit, mit welcher unsere Handlungen eintreten, völlig überzeugt ist, jemals in den Sinn, sich für ein Vergehen durch diese Notwendigkeit zu entschuldigen und die Schuld von sich auf die Motive zu wälzen, da ja bei deren Eintritt die That unausbleiblich war. Denn er sieht sehr wohl ein, daß diese Nothwendigkeit eine subjektive Bedingung hat, und daß hier objective, d.h. unter den vorhandenen Umständen, also unter der Einwirkung der Motive, die ihn bestimmt haben, doch eine ganz andere Handlung, ja, die der seinigen gerade entgegengesetzte, sehr wohl möglich war und hätte geschehen können, wenn nur Er ein Anderer gewesen wäre: hieran allein hat es gelegen. Ihm, weil er dieser und kein Anderer ist, weil er einen solchen und solchen Charakter hat, war freilich keine andere Handlung möglich; aber an sich selbst, also objective, war sie möglich. Die Verantwortlichkeit, deren er sich bewußt ist, trifft daher bloß zunächst und ostensibel die That, im Grunde aber seinen Charakter: für diesen fühlt er sich verantwortlich. Und für diesen machen ihn auch die Andern verantwortlich, indem ihr Urtheil sogleich die That verläßt, um die Eigenschaften des Thäters festzustellen: „er ist ein schlechter Mensch, ein Bösewicht", — oder „er ist ein Spitzbube" — oder „er ist eine kleine, falsche, niederträchtige Seele", — so lautet ihr Urtheil, und auf seinen Charakter laufen ihre Vorwürfe zurück. Die That, nebst dem Motiv, kommt dabei bloß als Zeugniß von dem Charakter des Thäters in Betracht, gilt aber als sicheres Symptom desselben, wodurch er unwiderruflich und auf immer festgestellt ist. Ueberaus richtig sagt daher Aristoteles: Εγχωμιάζομεν πράξαντας τά δ'εργα σημεία τής εξεώς έοτι έπςί έπαινοίμεν άν χαί μή πεπραγότα, εί πιστεύομεν ειναι τοιύτον. — Rhetorica, I, 9. (Enomio celebramus eos, qui egerunt: opera autem signa habitus sunt; quoniam laudaremus etiam qui non egisset, si crederemus esse talem.) Also nicht auf die vorübergehende That, sondern auf die bleibenden Eigenschaften des Thäters, d. h. des Charakters, aus welchem sie hervorgegangen, wirft sich der Haß, der Abscheu und die Verachtung. Daher sind in allen Sprachen die Epitheta moralischer Schlechtigkeit, die Schimpfnamen, welche sie bezeichnen, vielmehr Prädikate des Menschen als der Handlungen. Dem Charakter werden sie angehängt: denn dieser hat die Schuld zu tragen, deren er auf Anlaß der Thaten bloß überführt worden. Da, wo die Schuld liegt, muß auch die Verantwortlichkeit liegen: und da diese das alleinige Datum ist, welches auf moralische Freiheit zu schließen berechtigt; so muß auch die Freiheit ebendaselbst liegen, also im Charakter des Menschen; um so mehr, als wir uns hinlänglich überzeugt haben, daß sie unmittelbar in den einzelnen Handlungen nicht anzutreffen ist, als welche, unter Voraussetzung des Charakters, streng necessitirt eintreten. Der Charakter aber ist, wie im dritten Abschnitt gezeigt worden, angeboren und unveränderlich. Die Freiheit in diesem Sinne also, dem alleinigen, zu welchem die Data vorliegen, wollen wir jetzt also etwas näher betrachten, um, nachdem wir sie aus einer Thatsache des Bewußtseyns erschlossen und ihren Ort gefunden haben, sie auch, so weit es möglich sein möchte, philosophisch zu begreifen. Im dritten Abschnitte hatte sich ergeben, daß jede Handlung eines Menschen das Produkt zweier Faktoren sei: seines Charakters mit dem Motiv. Dies bedeutet keineswegs, daß sie ein Mittleres, gleichsam ein Kompromiß zwischen dem Motiv und dem Charakter sei; sondern sie thut beiden volles Genüge, indem sie, ihrer ganzen Möglichkeit nach, auf beiden zugleich beruht, nämlich darauf, daß das wirkende Motiv auf diesen Charakter treffe und dieser Charakter durch ein solches Motiv bestimmbar sei. Der Charakter ist die empirisch erkannte, beharrliche und unveränderliche Beschaffenheit eines individuellen Willens. Da nun dieser Charakter ein ebenso nothwendiger Faktor jeder Handlung ist, wie das Motiv; so erklärt sich hierdurch das Gefühl, daß unsere Thaten von uns selbst ausgehen, oder jenes „Ich will" , welches alle unsere Handlungen begleitet und vermöge dessen Jeder sie als seine Thaten anerkennen muß, für welche er sich daher moralisch verantwortlich fühlt. Dieses ist nun wieder eben jenes oben bei Untersuchung des Selbstbewußtseyns gefundene „Ich will, und will stets nur was ich will", — welches den rohen Verstand verleitet, eine absolute Freiheit des Thuns und Lassens, ein liberum arditrium indifferentiae, hartnäckig zu behaupten. Allein es ist nichts weiter, als das Bewußtseyn des zweiten Faktors der Handlung, welcher für sich allein ganz unfähig wäre, sie hervorzubringen, hingegen beim Eintritt des Motivs ebenso unfähigist, sie zu unterlassen. Aber erst indem er auf diese Weise in Thätigkeit versetzt wird, giebt er seine eigene Beschaffenheit dem Erkenntnißvermögen kund, als welches, wesentlich nach Außen, nicht nach Innen gerichtet, sogar die Beschaffenheit des eigenen Willens erst aus seinen Handlungen empirisch kennen lernt. Diese nähere und immer intimer werdende Bekanntschaft ist es eigentlich, was man das Gewissen nennt, welches auch eben deshalb direkt erst nach der Handlung laut wird; vorher höchstens nur indirekt, indem es etwan mittelst der Reflexion und Rückblick auf ähnliche Fälle, über die es sich schon erklärt hat, als ein künftig Eintretendes bei der Ueberlegung in Anschlag gebracht wird. Hier ist nun der Ort, an die schon im vorigen Abschnitt erwähnte Darstellung zu erinnern, welche Kant von dem Verhältniß zwischen empirischem und intelligibeln Charakter und dadurch von der Vereinbarkeit der Freiheit mit der Nothwendigkeit gegeben hat, und welche zum Schönsten und Tiefgedachtesten gehört, was dieser große Geist, ja, was Menschen jemals hervorgebracht haben. Ich habe mich nur darauf zu berufen, da es eine überflüssige Weitläufigkeit wäre, es hier zu wiederholen. Aber nur daraus läßt sich, so weit menschliche Kräfte es vermögen, begreifen: wie die strenge Nothwendigkeit unserer Handlungen doch zusammenbesteht mit derjenigen Freiheit, von welcher das Gefühl der Verantwortlichkeit Zeugniß ablegt, und vermöge welcher wir die Täter unserer Thaten und diese uns moralisch zuzurechnen sind. — Jenes von Kant dargelegte Verhältniß des empirischen zum intelligibeln Charakter beruht ganz und gar auf dem, was den Grundzug seiner gesammten Philosophie ausmacht, nämlich auf der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich: und wie bei ihm die vollkommene empirische Realität der Erfahrungswelt zusammenbesteht mit ihrer transscendentalen Idealität; ebenso die strenge empirische Nothwendigkeit des Handelns mit dessen transscendentaler Freiheit. Der impirische Charakter nämlich ist, wie der ganze Mensch, als Gegenstand der Erfahrung eine bloße Erscheinung, daher an die Formen aller Erscheinung, Zeit, Raum und Kausalität gebunden und deren Gesetzen unterworfen: hingegen ist die als Ding an sich von diesen Formen unabhängige und deshalb keinem Zeitunterschied unterworfene, mithin beharrende und unveränderliche Bedingung und Grundlage dieser ganzen Erscheinung sein intelligibler Charakter, d. h. sein Wille als Ding an sich, welchem, in solcher Eigenschaft, allerdings auch absolute Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Gesetze der Kausalität (als einer bloßen Form der Erscheinungen) zukommt. Diese Freiheit aber ist eine transscendentale, d. h. nicht in der Erscheinung hervortretende, sondern nur insofern vorhandene, als wir von der Erscheinung und allen ihren Formen abstrahiren, um zu dem zu gelangen, was, außer aller Zeit, als das innere Wesen des Menschen an sich selbst zu denken ist. Vermöge dieser Freiheit sind alle Thaten des Menschen sein eigenes Werk; so nothwendig sie auch aus dem impirischen Charakter, bei seinem Zusammentreffen mit den Motiven, hervorgehen; weil dieser empirische Charakter bloß die Erscheinung des intelligibeln, in unserm an Zeit, Raum und Kausalität gebundenen Erkenntnißvermögen, d. h. die Art und Weise ist, wie diesem das Wesen an sich unsers eigenen Selbst sich darstellt. Demzufolge ist zwar der Wille frei, aber nur an sich selbst und außerhalb der Erscheinung: in dieser hingegen stellt er sich schon mit einem bestimmten Charakter dar, welchem alle seine Thaten gemäß sein und daher, wenn durch die hinzugetretenen Motive näher bestimmt, nothwendig so und nicht anders ausfallen müssen. Dieser Weg führt, wie leicht abzusehen, dahin, daß wir das Werk unserer Freiheit nicht mehr, wie es die gemeine Ansicht thut, in unsern einzelnen Handlungen, sondern im ganzen Seyn und Wesen (existentia et essentia) des Menschen selbst zu suchen haben, welches gedacht werden muß als seine freie That, die bloß für das an Zeit, Raum und Kausalität geknüpfte Erkenntnißvermögen in einer Vielheit und Verschiedenheit von Handlungen sich darstellt, welches aber, eben wegen der ursprünglichen Einheit des in ihnen sich Darstellenden, alle genau den selben Charakter tragen müssen und daher als von den jedesmaligen Motiven, von denen sie hervorgerufen und im Einzelnen bestimmt werden, streng necessirt erscheinen. Demnach steht für die Welt der Erfahrung das Operari secquitur esse ohne Ausnahme fest. Jedes Ding wirkt gemäß seiner Beschaffenheit, und sein auf Ursachen erfolgendes Wirken giebt diese Beschaffenheit kund. Jeder Mensch handelt nach dem wie er ist, und die demgemäß jedes Mal nothwendige Handlung wird, im individuellen Fall, allein durch die Motive bestimmt. Die Freiheit, welche daher im Operari nicht anzutreffen sein kann, muß im Esse liegen. Es ist ein Grundirrthum, ein δστερον προνερον aller Zeiten gewesen, die Nothwendigkeit dem Esse und die Freiheit dem Operairi beizulegen. Umgekehrt, im Esse allein liegt die Freiheit; aber aus ihm und den Motiven folgt das Operari mit Nothwendigkeit: und an dem was wir thun, erkennen wir was wir sind . Hierauf, und nicht auf dem vermeinten Iibero arbitrio indifferentiae, beruht das Bewußtseyn der Verantwortlichkeit und die moralische Tendenz des Lebens. Es kommt alles darauf an, was Einer ist: was er thut, wird sich daraus von selbst ergeben, als ein notwendiges Korollarium. Das alle unsere Thaten, trotz ihrer Abhängigkeit von den Motiven, unleugbar begleitende Bewußtseyn der Eigenmächtigkeit und Ursprünglichkeit, vermöge dessen sie unsere Thaten sind, trügt demnach nicht: aber sein wahrer Inhalt reicht weiter als die Thaten und fängt höher oben an, indem unser Seyn und Wesen selbst, von welchem alle Thaten (auf Anlaß der Motive) nothwendig ausgehen, in Wahrheit mit darin begriffen ist. In diesem Sinne kann man jenes Bewußtseyn der Eigenmächtigkeit und Ursprünglichkeit, wie auch das der Verantwortlichkeit, welches unser Handeln begleitet, mit einem Zeiger vergleichen, der auf einen entfernteren Gegenstand hinweist, als der in der selben Richtung näher liegende ist, auf den er zu weisen scheint. Mit Einem Wort: Der Mensch thut allezeit nur was er will, und thut es doch nothwendig. Das liegt aber daran, daß er schon ist was er will: denn aus dem, was er ist, folgt nothwendig Alles, was er jedes Mal thut. Betrachtet man sein Thun objective, also von Außen; so erkennt man apodiktisch, daß es, wie das Wirken jedes Naturwesens, dem Kausalitätsgesetze in seiner ganzen Strenge unterworfen sein muß: subjective hingegen fühlt Jeder, daß er stets nur thut was er will . Dies besagt aber bloß, daß sein Wirken die reine Aeußerung seines selbsteigenen Wesens ist. Das Selbe würde daher jedes, selbst das niedrigste Naturwesen fühlen, wenn es fühlen könnte. Die Freiheit ist also durch meine Darstellung nicht aufgehoben, sondern bloß hinausgerückt, nämlich aus dem Gebiete der einzelnen Handlungen, wo sie erweislich nicht anzutreffen ist, hinauf in eine höhere, aber unserer Erkenntniß nicht so leicht zugängliche Region: d. h. sie ist transscendental. Und dies ist denn auch der Sinn, in welchem ich jenen Ausspruch des Malebranche, Ia lilierté est un mystère, verstanden wissen möchte, unter dessen Aegide gegenwärtige Abhandlung die von der Königlichen Societal gestellte Aufgabe zu lösen versucht hat. Anhang, zur Ergänzung des ersten Abschnittes In Folge der gleich Anfangs aufgestellten Eintheilung der Freiheit in physische, intellektuelle und moralische, habe ich, nachdem die erstere und letztere abgehandelt sind, jetzt noch die zweite zu erörtern, welches bloß der Vollständigkeit wegen und daher in der Kürze geschehen soll. Der Intellekt, oder das Erkenntnißvermögen, ist das Medium der Motive,durch welches nämlich hindurch sie auf den Willen, welcher der eigentliche Kern des Menschen ist, wirken. Nur sofern dieses Medium der Motive sich in einem normalen Zustande befindet, seine Funktionen regelrecht vollzieht und daher die Motive unverfälscht, wie sie in der realen Außenwelt vorliegen, dem Willen zur Wahl darstellt, kann dieser sich seiner Natur, d. h. dem individuellen Charakter des Menschen gemäß, entscheiden, also ungehindert, nach seinem selbsteigenen Wesen sich äußern: dann ist der Mensch intellektuell frei, d. h. seine Handlungen sind das reine Resultat der Reaktion seines Willens auf Motive, die in der Außenwelt ihm ebenso wie allen Andern vorliegen. Demzufolge sind sie ihm alsdann moralisch und auch juridisch zuzurechnen. Diese intellektuelle Freiheit wird aufgehoben entweder dadurch, daß das Medium der Motive, das Erkenntnißvermögen, auf die Dauer oder nur vorübergehend, zerrüttet ist, oder dadurch, daß äußere Umstände, im einzelnen Fall, die Aufassung der Motive verfälschen. Ersteres ist der Fall im Wahnsinn, Delirium, Paroxysmus und Schlaftrunkenheit; letzteres bei einem entschiedenen und unverschuldeten Irrthum, z. B. wenn man Gift statt Arznei eingießt, oder den nächtlich eintretenden Diener für einen Räuber hält und erschießt, u. dgl. m. Denn in beiden Fällen sind die Motive verfälscht, weshalb der Wille sich nicht so entscheiden kann, wie er unter den vorliegenden Umständen es würde, wenn der Intellekt sie ihm richtig überlieferte. Die unter solchen Umständen begangenen Verbrechen sind daher auch nicht gesetzlich strafbar. Denn die Gesetze gehen aus von der richtigen Voraussetzung, daß der Wille nicht moralisch frei sei, in welchem Fall man ihn nicht lenken könnte; sondern daß er der Nöthigung durch Motive unterworfen sei: demgemäß wollen sie allen etwanigen Motiven zu Verbrechen stärkere Gegenmotive, in den angedrohten Strafen, entgegenstellen, und ein Kriminalcodex ist nichts Anderes, als ein Verzeichnis von Gegenmotiven zu verbrecherischen Handlungen. Ergiebt sich aber, daß der Intellekt, durch den diese Gegenmotive zu wirken hatten, unfähig war, sie aufzunehmen und dem Willen vorzuhalten; so war ihre Wirkung unmöglich: sie waren für ihn nicht vorhanden. Es ist wie wenn man findet, daß einer der Fäden, die eine Maschine zu bewegen hatten, gerissen sei. Die Schuld geht daher in solchem Fall vom Willen auf den Intellekt über: dieser aber ist keiner Strafe unterworfen; sondern mit dem Willen allein haben es die Gesetze, wie die Moral, zu thun. Er allein ist der eigentliche Mensch: der Intellekt ist bloß sein Organ, seine Fühlhörner nach Außen, d. i. das Medium der Wirkung auf ihn durch Motive. Ebenso wenig sind dergleichen Thaten moralisch zuzurechnen. Denn sie sind kein Zug des Charakters des Menschen: er hat entweder etwas Anderes gethan, als er zu thun wähnte, oder war unfähig an Das zu denken, was ihn davon hätte abhalten sollen, d. h. die Gegenmotive zuzulassen. Es ist damit, wie wenn ein chemisch zu untersuchender Stoff der Einwirkung mehrerer Reagenzien ausgesetzt wird, damit man sehe, zu welchem er die stärkste Verwandtschaft hat: findet sich, nach gemachtem Experiment, daß, durch ein zufälliges Hinderniß, das eine Reagens gar nicht hat einwirken können; so ist das Experiment ungültig. Die intellektuelle Freiheit, welche wir hier als ganz aufgehoben betrachteten, kann ferner auch bloß vermindert , oder partiell aufgehoben werden. Dies geschieht besonders durch den Affekt und durch den Rausch. Der Affekt ist die plötzliche, heftige Erregung des Willens durch eine von außen eindringende, zum Motiv werdende Vorstellung, die eine solche Lebhaftigkeit hat, daß sie alle andern, welche ihr als Gegenmotive entgegenwirken könnten, verdunkelt und nicht deutlich ins Bewußtseyn kommen läßt. Diese letzteren, welche meistens nur abstrakter Natur, bloße Gedanken, sind, während jene erstere ein Anschauliches, Gegenwärtiges ist, kommen dabei gleichsam nicht zum Schuß und haben also nicht was man auf Englisch fair play nennt: die That ist schon geschehen, ehe sie kontragiren konnten. Es ist wie wenn im Duell der Eine vor dem Kommandowort losschießt. Auch hier ist demnach sowohl die juridische, als die moralische Verantwortlichkeit, nach Beschaffenheit der Umstände, mehr oder weniger, doch immer zum Theil, aufgehoben. In England wird ein in vollkommener Uebereilung und ohne die geringste Ueberlegung, im heftigsten, plötzlich erregten Zorn begangener Mord manslaughter genannt und leicht, ja bisweilen gar nicht bestraft. — Der Rausch ist ein Zustand, der zu Affekten disponirt, indem er die Lebhaftigkeit der anschaulichen Vorstellungen erhöht, das Denken in abstracto dagegen schwächt und dabei noch die Energie des Willens steigert. An die Stelle der Verantwortlichkeit für die Thaten tritt hier die für den Rausch selbst: daher er juridisch nicht entschuldigt, obgleich hier die intellektuelle Freiheit zum Theil aufgehoben ist. Von dieser intellektuellen Freiheit, το έχούσιον χαί άχούσιον χατάδίανοιαν, redet schon, wiewohl sehr kurz und ungenügend, Aristoteles in der Ethic. Eudem., II, c. 7 et 9, und etwas ausführlicher in der Ethic. Nicom., III, c. 2. — Sie ist gemeint, wenn die Medicina forensis und die Kriminaljustiz fragt, ob ein Verbrecher im Zustande der Freiheit und folglich zurechnungsfähig gewesen sei. Im Allgemeinen also sind als unter Abwesenheit der intellektuellen Freiheit begangen alle die Verbrechen anzusehen, bei denen der Mensch entweder nicht wußte, was er that, oder schlechterdings nicht fähig war, zu bedenken, was ihn davon hätte abhalten sollen, nämlich die Folgen der That. In solchen Fällen ist er demnach nicht zu strafen. Die hingegen, welche meynen, daß schon wegen der Nichtexistenz der moralischen Freiheit und daraus folgender Unausbleiblichkeit aller Handlungen eines gegebenen Menschen, kein Verbrecher gestraft werden dürfte, gehen von der falschen Ansicht der Strafe aus, daß sie eine Heimsuchung der Verbrechen, ihrer selbst wegen, ein Vergelten des Bösen mit Bösem, aus moralischen Gründen, sei. Ein solches aber, wenngleich Kant es gelehrt hat, wäre absurd, zwecklos und durchaus unberechtigt. Denn wie wäre doch ein Mensch befugt, sich zum absoluten Richter des andern, in moralischer Hinsicht, aufzuwerfen und als solcher, seiner Sünden wegen, ihn zu peinigen! Vielmehr hat das Gesetz, d. i. die Androhung der Strafe, den Zweck, das Gegenmotiv zu den noch nicht begangenen Verbrechen zu sein. Verfehlt es, im einzelnen Fall, diese seine Wirkung; so muß es vollzogen werden; weil es sonst sie auch in allen zukünftigen Fällen verfehlen würde. Der Verbrecher seinerseits erleidet, in diesem Fall, die Strafe eigentlich doch in Folge seiner moralischen Beschaffenheit, als welche, im Verein mit den Umständen, welche die Motive waren, und seinem Intellekt, der ihm die Hoffnung der Strafe zu entgehen vorspiegelte, die That unausbleiblich herbeigeführt hat. Hierin könnte ihm nur dann Unrecht geschehen, wenn sein moralischer Charakter nicht sein eigenes Wert, seine intelligible That, sondern das Wert eines Andern wäre. Das selbe Verhältnis der That zu ihrer Folge findet Statt, wenn die Folgen seines lasterhaften Thuns nicht nach menschlichen, sondern nach Natur- Gesetzen eintreten, z. B. wenn liederliche Ausschweifungen schreckliche Krankheiten herbeiführen, oder auch wenn er beim Versuch eines Einbruchs, durch einen Zufall, verunglückt, z. B. in dem Schweinestall, in den er bei Nacht einbricht, um dessen gewöhnlichen Bewohner abzuführen, statt seiner den Bären, dessen Führer am Abend in diesem Wirtshause eingekehrt ist, vorfindet, welcher ihm mit offenen Armen entgegenkommt.